Quelle: Vorwärts.de

gescheiterte Weimarer Republik *J. Theobald

Über die gescheiterte Weimarer Republik ist schon relativ viel geschrieben worden. Doch eines scheint
richtig zu sein, dass zwischen der Basis (der breiten Öffentlichkeit) und dem Überbau (der Weimarer Koalition) offenbar kein recht harmonisches Verhältnis bestand.  

Zunächst fegt die Novemberrevolution des Jahres 1918 in Deutschland die wilhelminische Ordnung hinweg. Arbeiter- und Soldatenräte gehen für die Republik auf die Straßen.  

Aufständische Matrosen des 3. Geschwaders wählten im norddeutschen Kiel einen Soldatenrat, der die Macht in der Stadt übernimmt. Die Forderungen des Soldatenrates, die von SPD und USPD unterstützt werden, leiten im Vorfeld die Revolution im Deutschen Reich ein. Zunächst ging es ausschließlich um eine Milderung der militärischen Disziplin und um eine Rücknahme von Befehlen. Doch zu einem späteren Zeitpunkt hat sich diese Militärrevolte zu einer revolutionären Bewegung entwickelt, die sich auch im Süden ausbreitete und damit weite Teile der Bevölkerung erfasste. Nach dem Beispiel der Bildung von Soldatenräten gründete die Arbeiterschaft in den Industriebetrieben ebenfalls Arbeiterräte, die sich mit den Soldaten verbündeten. Arbeiter- und Soldatenräte übernehmen die Exekutivgewalt, d. h. sie treten an die Stelle der örtlichen militärischen Generalkommandos. In der Praxis be- sitzen diese aber kein eigenständiges Konzept für eine Umgestaltung des Staates, befürworten jedoch die Zusammenarbeit zwischen der Mehrheits-SPD und der USPD. Die politische Führung in den Orten, die von den Räten beherrscht werden, liegt in der Hand von Parteiorganisationen beider sozialdemokratischer Parteien. Zunächst ruft Kurt Eisner, Vorsitzender der Münchner USPD, im Bayerischen Landtag am 7. November 1918 den republikanischen „Freien Volksstaat Bayern“ aus. Weiterhin wird am 9. November 1918 die Reichshauptstadt von der Revolution erfasst. Die Arbeiter- und Soldatenräte dort stellen aber ihre bewaffnete Macht den Mehrheits-Sozialdemokraten zur Verfügung. Damit ist jetzt der Machtkampf zwischen der Mehrheits-SPD und dem äußersten linken Flügel, der USPD, bezüglich der Führung der revolutionären Erhebung und die zukünftige Gestaltung des deutschen Staates entschieden.

 Im Reichstag geht um 14.00 Uhr die Nachricht ein, Wilhelm II. sei bereit, als deutscher Kaiser abzudanken. Der Reichskanzler Max von Baden ernennt den sozialdemokratischen Politiker Friedrich Ebert zum Kanzler und tritt zurück. Von einem Balkon des Reichstags ruft dann ein Abgeordneter der Mehrheits-SPD mit Namen Philipp Scheidemann um 14.00 Uhr die deutsche Republik aus. [1]  

Die Lage in Deutschland war aber zu dieser Zeit äußerst schwierig. So herrschte Hunger, ein Millionenheer musste in die Heimat zurückgeführt und die Soldaten in das zivile Leben integriert werden. Die Wirtschaft war durch den beendeten I. Weltkrieg völlig ruiniert, die Staatsfinanzen waren zerrüttet. Hinzu kamen die Belastungen durch die harten Bedingungen des Versailler Friedensvertrages und die mentalen Folgen einer von weiten Teilen der Bevölkerung nicht erwarteten Niederlage.  

Nach der Ausrufung der deutschen Republik übernahm zunächst ein „Rat der Volksbeauftragten“ aus je drei Vertretern von Mehrheits-SPD und USPD die Regierungsge- schäfte. Gut zwei Monate später, am 19. Januar 1919, fanden die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung statt. Am 14. August 1919 trat die neue Verfassung in Kraft. In der neuen parlamentarischen Republik amtierte seit Februar 1919 als erster Reichspräsident der Sozialdemokrat Friedrich Ebert.  

Zwar hatten bei den Wahlen zur Nationalversammlung die SPD, das Zentrum und die als liberal geltende Deutsche Demokratische Partei (DDP) einen überwältigenden Wahl-sieg errungen. So kamen sie gemeinsam auf 76,1 % der Stimmen. Doch angesichts der wirtschaftlichen wie sozialen Lage, der Anfeindungen, der die Republik von links wie rechts ausgesetzt war, sowie der bestandenen außenpolitischen Belastungen war dieser Erfolg nicht zu wiederholen.  

Schon bei der ersten Wahl zum neuen Reichstag vom 6. Juni 1920 erlitten die Parteien der so genannten Weimarer Koalition eine schwere Niederlage. Sie erreichten nur noch 48 % der Stimmen. Die beiden republikfeindlichen Lager von links und rechts erzielten dagegen hohe Zugewinne. Stabile Koalitionen ließen sich daher von nun an kaum noch bilden, die für die Weimarer Republik so typischen häufigen Regierungswechsel waren die Folge.  

Zu den Schwierigkeiten der Regierungsbildung traten bis 1923 eine Serie von gewalttätigen Unruhen und Umsturz- versuche in verschiedenen Teilen des Reiches. Genannt sei hier zunächst der kommunistische „Spartakusaufstand“ mit Straßenkämpfen in Berlin im Januar 1919. Erwähnt sei hier auch auf rechter Seite der im März 1920 ausbrechende Aufstand der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) mit den Vertretern Wolfgang Kapp und General von Lüttwitz in der Reichshauptstadt Berlin. Letzterer Aufstand war so gewaltig, dass die Reichsregierung aus der Hauptstadt fliehen musste. Im März 1920 kam es im Ruhrgebiet sowie in Thüringen und Sachsen zu Kämpfen zwischen den sozialistischen und kom- munistischen Einheiten auf der einen Seite und den rechten Freikorps bzw. der Reichswehr auf der anderen Seite.  

Besonders schlimm war es im Krisenjahr 1923. Von Sachsen aus plante die KPD einen reichsweiten kommunistischen Umsturz, der allerdings nur in Hamburg durch Kämpfe seine heiße Phase erlebte. Am 9. November 1923 versuchten Adolf Hitler und Erich Ludendorff in München von der äußersten Rechten aus einen Umsturz zu erzwingen. Dazu kamen schließlich die politisch motivierten Mordanschläge auf den früheren Finanzminister Matthias Erzberger (26. August 1921) und den amtierenden Reichsaußenminister Walther Rathenau (24. Juni 1922). Beide fielen rechtsradikalen Attentätern zum Opfer.  

Dass sich die Unruhen nicht zum Bürgerkrieg ausweiteten oder dass das Reich nicht auseinanderbrach, lag nicht zuletzt daran, dass sich schon in der Anfangsphase der Republik in wichtigen Bereichen gemäßigte Kräfte durchsetzen konnten und die neue Regierung manchen Kompromiss mit den Repräsentanten des alten Deutschland einging. Also waren in den ersten Monaten nach dem verlorenen Krieg diejenigen Personen, die das Ziel einer parlamentarischen Republik verfochten, gegenüber den Kräften, die eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild anstrebten, eindeutig in der Überzahl. Schon im November 1918 hatte F. Ebert eine Loyalitätsbekundung der Armeeführung gegenüber der neuen Regierung erreichen können. Dabei hatte er sowohl die Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der mi- litärischen Disziplin als auch die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des „Bolschewismus“ zugesagt.  

In der Großindustrie kam es am 15. November 1918 innerhalb der „Zentralarbeitsgemeinschaft“ zu einer Vereinbarung mit den Gewerkschaften, in der auch wichtige Arbeitnehmerrechte festgeschrieben werden konnten. Dadurch sollte eine soziale Konfrontation im Zuge der revolutionären Entwicklungen verhindert werden. [2]

Auf kommunistischer Seite vertrat man die Meinung, dass in Deutschland der Parlamentarismus politisch noch nicht erledigt sei, dass die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des re- volutionären Proletariats unbedingte Pflicht sei, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen, gerade um die unentwickelte, geduckte, unwissende Masse auf dem Lande aufzurütteln und aufzuklären. [3] Doch in der Praxis hat man die Landbevölkerung kaum erreicht.     

Erst in den Jahren nach 1923 kam es zu einer relativen Stabilisierung der Republik. Wie die Ereignisse ab 1929 aber zeigten, konnte von einer wirklichen Konsolidierung nicht die Rede sein. So war die Zahl jener Gruppen klein geblieben, die den neuen Staat und seine Staatsform bejahten, ihm die Lösung der anstehenden Probleme zutrauten und auch bereit waren, ihn aktiv zu unterstützen. Mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise, die schwere wirt- schaftliche und soziale Erschütterungen brachte, bekamen die radikalen Parteien enormen Zulauf. Vor allem im mehr rechten Spektrum konnte sich die von Adolf Hitler geführte NSDAP etablieren. Denn viele Menschen suchten nach einfachen und klaren Lösungen der vielen Probleme, mit denen Deutschland in der Zwischenkriegszeit zu kämpfen hatte. So galt die NSDAP als unverbraucht, der man am ehesten die Beseitigung der Schwierigkeiten zutraute. Doch war dies der Anfang vom Ende, da die NSDAP später nach für sie günstigen Wahlen immer mehr zur Macht griff. Nach dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933 war ihr Weg frei zur alleinigen Macht. Denn jetzt konnte Hitler ohne das Parlament und ohne den Reichspräsidenten die für ihn notwendig erachteten Gesetze erlassen. Allein die SPD stimmte gegen das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Die KPD stand in Deutschland vor ihrer Zerschlagung. [4]  

Bei den Kommunisten standen die Politiker der SPD in der ständigen Kritik. So machte der Begriff „die Scheidemänner“ hier immer mehr die Runde. Denn diese setzten auf den Berufsparlamentarismus. Die Gegner seien von ihnen als Anarchisten verschrien. Die Sozialdemokraten vom Schlage Scheidemanns fühlten sich allerdings von den Sowjets angewidert. Allein vom wohlanständigen bürgerlichen Parlament fühlten sie sich angezogen. Denn in den Augen der Kommunisten galt Philipp Scheidemann (1865-1939) als einer der Führer des extrem rechten, opportunistischen Flügels der SPD. Während der Novemberrevolution von 1918 sei dieser ein Inspirator der übelsten Agitation gegen den Spartakusbund gewesen. [5]

 NACHTRAG  

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten kam das Ende der Weimarer Republik. Die ehemals freien Gewerkschaften wurden verboten. An deren Stelle trat die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Dem Parlamentarismus wurde ein Ende gesetzt. Die nationale Wirtschaft bekam autarke Strukturen. Gegenüber jüdischen Minderheiten ist eine systematische Vernichtungspolitik betrieben worden. Der durch die Weltwirtschaftskrise hervorgerufenen hohen Arbeitslosigkeit ist man dadurch begegnet, dass man im „Dritten Reich“ hier einen Sektor öffentlicher Beschäftigung, wie den „Reichsarbeitsdienst“ (RAD), ins Leben gerufen hat.  

ANMERKUNGEN

Fotoquelle: Vorwärts.de

 [1] Die große Chronik Weltgeschichte, Band 15, Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2008, die Seiten 160/61.             

 [2] BROCKHAUS, Weltgeschichte seit der Aufklärung, Leipzig-Mannheim 2006, Seiten 214/15.  

[3] W. I. Lenin, WERKE, Band 31, Dietz Verlag, Berlin- Ost 1983, Seite 44.   

 [4] wie [2], jedoch die Seiten 215/16, 257/58.  

[5] W. I. Lenin, Ausgewählte Werke in einem Band, Verlag PROGRESS, Moskau 1986, Seiten 320, 470 + 847.

FRIEDRICH EBERT (REICHSPRÄSIDENT, 1919-1925) -Quelle: Bundesarchiv