DIE WELT DER KELTEN

AUTOR:: Josef Theobald

Einer der frühen Hochkulturen war die der Kelten. Die Griechen
nannten sie „Kelten“ oder „Galater“, die Römer „Gallier“ und wie
die Griechen „Kelten“. Sie selbst bezeichneten sich allerdings im
übertragenen Sinne als „die Tapferen“ und „die Erhabenen“.

Die ältere Kultur nennt man „Hallstatt-Kultur“ nach dem Fundort
im oberösterreichischen Salzkammergut. Hier waren Adlige oder
Fürstenpersönlichkeiten Träger dieser Kulturstufe. Die Kelten in
dieser Zeit lebten zwischen Burgund und Österreich. Sie ließen
sich aufwendig in großen Erdgrabhügeln beisetzen und lebten
in befestigten Höhensiedlungen.

Die spätere Kultur nennt man „La-Tène-Kultur“ nach dem Fundort
in der Schweiz am Westufer des Neuenburger Sees. Hier setzte
sich zwischen Ostfrankreich und Böhmen eine neue, nun latène-
zeitlich benannte Adelsschicht durch, deren Repräsentanten nicht
nur Männer, sondern auch Frauen, sein konnten. Vielleicht muss
man hier von einem Adelsgeschlecht sprechen, das sich um die
Personengruppen bildete, die der südlichen Hallstatt-Adelsschicht
entstammten und die eine neue wirtschaftliche Grundlage vor allem
in der gezielten Ausbeutung von Erzlagerstätten sahen. Denn in ei-
nigen Fällen liegen – heute noch erkennbar – zeitgleich befestigte
Höhensiedlungen, Adelsgräber und Erzlagerstätten recht nah bei-
einander, so dass man von einer Verbindung zueinander ausgehen
kann.

Die adligen Toten wurden im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. in meist
großen, auch exponiert gelegenen Erdhügeln beigesetzt und eben-
so mit dem modernen zweirädrigen Streitwagen mit Bronzegeschirr
und kostbaren Schmuck- und Trachtbestandteilen für das Jenseits
versehen. Aus einem Fürstengrab von Schwarzenbach (dem Orts-
teil von Nonnweiler im Kreis St. Wendel) kommt der meisterhafte
Goldblechbeschlag einer Schale, oder, eher wahrscheinlich eines
Trinkhorns oder eines Siebtrichters der 2. Hälfte des 5. Jahrhun-
derts v. Chr., der friesartig aneinander gereihte Ornamente zeigt.
Als Beispiel aus der Zeit um 400 v. Chr. sei ein fürstlicher Mann
aus dem Ort Weiskirchen (Landkreis Merzig-Wadern) genannt,
der mit kostbarem Gürtel- und Taschenschmuck, Fibeln und ei-
nem Prunkdolch als Zierwaffe beigesetzt worden war. Er trug die
für die Kelten charakteristische karierte Hose, die den klassischen
Völkern absolut fremd war. Ein Hals- und ein Armring stammten
aus einem keltischen Fürstinnengrab, das 1954 im saarländischen
Reinheim (Saarpfalz-Kreis) entdeckt wurden. Jene Schmuckstücke
werden auf die Zeit um 400 v. Chr. datiert.

In Wales, Nordschottland und Irland hat sich die keltische Sprache
bis heute erhalten. Der keltische Kunststil blieb bis ins Mittelalter be-
stehen. Im 1. Jahrhundert v. Chr. hatte sich auf den Britischen Inseln
ein eigenes keltisches Kunstempfinden ausgebildet, das unter dem
Einsatz des Zirkels die Gestaltung komplizierter Muster ermöglichte.

Die Schaffung der römischen Provinz „Gallia Narbonensis“ von den
östlichen Pyrenäen bis zum Westalpenrand und hinauf zum Genfer
See bedeutete das Ende zahlreicher befestigter einheimischer Hö-
hensiedlungen. Ihr mediterran geprägtes „Stadtbild“ mit geregeltem
Bebauungsplan, mit Straßen, Speichern und Zisternen, die Keramik
und die Verwendung der griechischen Schrift einerseits, die keltische
Art der Tracht und Bewaffnung andererseits, müssen im Laufe des 2.
Jahrhunderts v. Chr. nachhaltig auf die Anlegung ähnlicher Siedlungen
nordwärts davon gewirkt haben. Diese Siedlungen hatten aber ebenfalls
wie diese eine politisch-wirtschaftliche Mittelpunktsfunktion innerhalb ei-
ner Stammesgemeinschaft inne. Als Sitz der Verwaltung und der Rechts-
sprechung, als Ort des Stammesheiligtums boten sie Platz für handwerk-
liche Betriebe, waren Wohnsitz des Adels und Fluchtburg der umliegenden
Bevölkerung. Hier regierten die Könige oder adligen Häuptlinge, agierten
die Druiden und Krieger, arbeiteten privilegierte Handwerker, und es be-
stand noch genügend Raum für bäuerliche Tätigkeiten. Zusammen mit
dem umliegenden Einzugsgebiet stellten diese Oppida also in sich ge-
schlossene und voll funktionsfähige Siedlungseinheiten dar.

Doch auch diese Kultur ging bald wieder unter. Mittel- und nordeuro-
päische Barbarenstämme bildeten zusammen mit den Restkelten in
Mitteleuropa eine neue ethnische Gruppe, eben zu jener der Germa-
nen. Diese Stämme übernahmen exakt die gleiche historische Rolle,
die bis dahin die Kelten gespielt hatten. Germanen waren fortan An-
rainer der von den Römern getragenen hoch zivilisierten Mittelmeer-
welt, deren Grenzen – eben durch die Römer – inzwischen bis in den
mitteleuropäischen Raum vorgeschoben worden war.

Die Christianisierung der Kelten konnte deshalb so gut erfolgen, da
der soziologische Aufbau der Iro-Schotten dem der Kelten am Ober-
lauf der Donau entsprach. Hier wies die Herrschaftsstruktur eine Ver-
schmelzung blutsverwandter Gruppen auf, die von einer mächtigen
Familie beherrscht wurden, und die Kirchenorganisation folgte einem
ähnlichen Muster. Bedeutsam für die irische Kirche war die Rolle der
Frauen und die Gründung von Schwesternklöstern. Es gab aber auch
Doppelklöster, eines für Männer und eines für Frauen. Man teilte sich
hier eine Kirche, lebte nach denselben Regeln und unterstand der ge-
meinsamen Verantwortung durch eine Äbtissin und einen Bischofsabt.
Allerdings war dieser egalitäre Ansatz für Frauen nur von kurzer Dauer.

Hier im Gebiet der Saar spielte ein St. Wendelin oder ein Wendalinus
bei der Missionierung eine besondere Rolle. Dieser gilt in der 1. Hälfte
des 7. Jahrhunderts entweder als Stifter der Abtei Tholey oder als einer
der ersten „schottischen“ Äbte. Im Gefolge dieser herausragenden Per-
sönlichkeit tritt eine Nonne mit dem Namen „Oranna“ auf. Es gibt hier
Gelehrte, die da ein Geschwisterpaar sehen möchten. Dennoch zei-
gen die Umstände der frühen Klosterbildung, dass die keltische So-
zialstruktur förderlich für die Akzeptanz weiblicher Missionare war.
Mit dem wachsenden Einfluss der römischen Kirche kam auch ein
geändertes Frauenbild zu uns. Man favorisierte das Idealbild einer
unbefleckten oder unschuldigen Jungfrau, das aber im Judentum
keine Entsprechung hatte und eher im griechisch-römischen Um-
feld anzutreffen war.


QUELLENHINWEIS

Als Buchquellen wurden DIE GROSSE WELTGESCHICHTE,
Frühe Kulturen für Europa, erschienen in Lizenz BROCKHAUS
im Weltbild Verlag und das Buch von Christine Kinealy mit dem
Titel GESCHICHTE IRLANDS, das 2004 im Magnus Verlag in
Essen erschien, herangezogen.

WORTERKLÄRUNGEN

Ein „Druide“ ist ein keltischer Priester der heidnischen Zeit.

Das lateinische Wort „oppida“ ist der Plural des lateinischen
Substantivs „oppidum“ und bedeutet im Singular militärische
Befestigung und Verschanzung.

NACHTRAG

Welche Umstände begünstigten denn die Tatsache, dass es auf
keltischer Seite auch weibliche Fürsten gab? In den Werken des
Herrn Lenin aus Russland findet sich aber jedoch eine plausible
Erklärung:

„Es hat aber eine Zeit gegeben, da kein Staat existierte, da der
allgemeine Zusammenhalt, die Gesellschaft selbst, die Disziplin,
die Arbeitsordnung aufrechterhalten wurden durch die Macht der
Gewohnheit, der Traditionen, durch die Autorität oder Achtung,
die die Ältesten der Geschlechtsverbände oder die Frauen ge-
nossen, die zu dieser Zeit oftmals eine den Männern gleichbe-
rechtigte, ja nicht selten sogar höhere Stellung einnahmen, ei-
ne Zeit, da es keine besondere Kategorie von Menschen, keine
Spezialisten gab, um zu regieren.“ (Werke. Band 29, Dietz Ver-
lag, Berlin-Ost 1961, Seite 465)

BEITRAGSBILD
Das goldene Pferd von Reinheim