DER STEPHANUSTAG

AUTOR: Josef Theobald

Traditionell am 2. Weihnachtstag wird dem hl. Stephanus gedacht, der
in kirchlichen Kreisen als der erste christliche Märtyrer gilt.

Die Apostelgeschichte behandelt in seinem 6. Kapitel die hellenistische
Gemeinde, der sieben Diakone zugeteilt wurden. Die hier wohl heraus-
ragende Person war die des Stephanus (aus dem Griechischen „der mit
einem <Sieges->Kranz Geschmückte“).

Die Hellenisten waren gegen das jüdische Gesetz und gegen die Sitten
des Judentums. Als sogenannte „Griechlinge“ arbeiteten sie ingrimmig
gegen das Gesetz der Väter und gegen die altväterlichen Sitten. Ihre
Bestrebungen gingen dahin, das väterliche Gesetz ganz und gar abzu-
schaffen im Sinne einer Hellenisierung des jüdischen Volkes. [1] Damit
standen sie im Gegensatz zu den frommen Aßidäern (Chassidim).

In Apostelgeschichte 7,48 wendet sich Stephanus gegen den Jerusalemer
Tempel selbst, indem er ihn als etwas Handgemachtes bezeichnete. Dies
war sein Todesurteil. Der damals junge Saulus wurde vom Sanhedrin be-
auftragt, die Hinrichtung zu vollstrecken und auch den Rest der Gemeinde
durch eine große Verfolgung zu vernichten (8,1-3).

Im deutschsprachigen Raum ist die Meinung von Martin Dibelius (1883-1947)
vorherrschend, dass die in die Apostelgeschichte aufgenommene Rede nicht
zum ursprünglichen Bestand der Stephanusgeschichte gehöre, sondern vom
Verfasser der Apostelgeschichte her an dieser Stelle zu begreifen sei. [2]

Fest steht aber, dass die christliche Urgemeinde erstmals negativ durch das
Wirken der Hellenisten aufgefallen ist. Daher ist auf der Seite des jüdischen
Sanhedrin angenommen worden, hier handele sich um eine neue Richtung
im Judentum, die gegen den Tempel und das jüdische Gesetz auftrete.

Deshalb die im 9. Kapitel der Apostelgeschichte geschilderte anfängliche
Haltung des Saulus gegenüber der christlichen Gemeinde in Damaskus.
Mit Morddrohungen verfolgte er die dortige Gemeinde des „Weges“ (die
Verse 1 + 2). Hier ist wohl an eine besondere Richtung im Judentum zu
denken, die sich an der früheren Anawim-Bewegung orientierte. Saulus
war damals der Ursprung dieser Gemeinde völlig unbekannt, der höchst
wahrscheinlich im Jerusalemer Tempel zu suchen ist (6,7).

Der Bericht über den Stephanus soll die Botschaft vom Bruch des späteren
Christentums mit dem Judentum und dem Tempel vorbereitend überbringen.
Die historische Wahrheit hinter dieser Darstellung der Apostelgeschichte war
vermutlich der provokative Wutausbruch eines führenden Mitglieds der ersten
Christengemeinde, der dazu geführt hatte, dass sich plötzlich in jenen Tagen
die so leicht erregbare Menge in Jerusalem auf diesen Mann stürzte und ihn
lynchte. [3]

In der apokryphen Literatur des Neuen Testaments gibt es bezüglich des
Saulus (Paulus), dem eigentlichen Begründer des heutigen Christentums,
eine starke Kontroverse. Vor allem jüdischen Rabbinern ist die in seinen
Briefen festgehaltene Theologie äußerst suspekt, da er vor allem Jesus
Christus in den Mittelpunkt seiner Mission stellt und schließlich durch die
Herausstellung dessen Todes eine andere Lehre begründet, die in einen
Gegensatz zur bisher überlieferten jüdischen Anschauung zu bringen ist.

ANMERKUNGEN
[1] Heinrich Graetz, Volkstümliche Geschichte der Juden in
zwei Bänden, Parkland Verlag, Köln 2000, die Seite 339.
[2] Bonner Biblische Beiträge, DAS HEILSGESCHICHTLICHE CREDO
IN DEN REDEN DER APOSTELGESCHICHTE, Verfasser: Klaus Kliesch,
Peter Hanstein Verlag, Bonn 1975. Seite 11.
[3] Geza Vermes, ANNO DOMINI (Ein Who’s Who zu Jesu Zeiten),
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2008, die Seite 295)