DIE WESTDEUTSCHE AUSSENPOLITIK IN DER NACHKRIEGSZEIT

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

Die junge Bonner Republik wollte so schnell wie möglich in ihrer Außenpolitik
weitgehend souverän werden. Im Rahmen der Pariser Verträge, zu dem auch
der Deutschlandvertrag gehörte, die im Oktober 1954 unterzeichnet wurden,
konnte dieses Vorhaben gelingen. Aufgrund der Hallstein-Doktrin gab man
sich nach außen als alleiniger Vertreter Deutschlands aus. Die frühere DDR
war im deutschen Sprachgebrauch als Ostzone in aller Munde. Dort waren
die Russen. Deshalb war es für die ostdeutsche Außenpolitik relativ schwierig,
außerhalb des Sowjetblocks Fuß zu fassen. Dazu kommt noch, dass sie auch
weniger Spielraum in ihren Entscheidungen hatte. Denn die Außenpolitik war
im Einklang mit der sowjetischen Außenpolitik zu gestalten.

BEITRAG   

Nach dem Krieg suchte die von Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967)
geführte Bundesregierung nach Wegen, um eine Westintegration oder -bindung
zu erreichen. Dies war in der jungen Bundesrepublik weitgehend Konsens. Nur
der Weg dorthin war allerdings stark umstritten (Stichwort: Wiederbewaffnung).

Im Rahmen der propagierten Truman-Doktrin wollten die USA freien Völkern
beistehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minder-
heiten oder durch äußeren Druck widersetzten. Unmittelbares Ziel war dabei
ursprünglich, eine Zustimmung für die Militär- und Wirtschaftshilfe zugunsten
der Türkei sowie antikommunistischer Kräfte im griechischen Bürgerkrieg zu
erhalten.

Es ging also in der Realität vordringlich darum, den Einfluss kommunistischer
Staaten zurückzudrängen. Dies markierte den Beginn des „kalten Krieges“.

Im Verbund mit den USA hatten England und Frankreich über die UdSSR,
China und die volksdemokratischen Länder Osteuropas die ökonomische
Blockade verhängt, nur weil sie sich nicht dem Marshallplan-System ange-
schlossen hatten. [1]  Weiterhin sprach man in den östlichen Medien von
einer wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Versklavung Europas
und der ganzen Welt und von einer Einschränkung der nationalen Lebens-
interessen der gewaltigen Mehrheit der Völker und der Welt. Dies stelle ein
Diktat durch die habgierigen imperialistischen Bestrebungen der Finanzoli-
garchie und durch die Furcht vor einem Erstarken des Sozialismus und der
Volksdemokratie in der Welt dar. [2]  Aufgrund der gewaltigen Macht des US-
Dollars und durch die Gewährung von Krediten an die europäischen Staaten
müssten diese zugunsten der Herrschaft des amerikanischen Imperialismus
in Westeuropa auf ihre ökonomische und politische Unabhängigkeit verzich-
ten. Schließlich sei aus dem westdeutschen Sozialdemokraten Kurt Schu-
macher (1895-1952) ein gehorsames Werkzeug gemacht worden, das vor
nichts haltmache, wenn es darum ginge, gegen die Sowjetunion und die
neuen Demokratien zu hetzen und sie zu verleumden. [3]

Mit der Wiederbewaffnung Westdeutschlands ist die Bundesrepublik in den
Schatten des US-Imperialismus gestellt worden. Die Anhänger der Bonner
Republik wurden als Revanchisten abgestempelt. Die US-Imperialisten seien
nunmehr verantwortlich für einen gefährlichen Kriegsherd im Zentrum Europas.
Weiterhin vollführten sie provokatorische und subversive Tätigkeiten gegen die
sozialistischen Länder von Westberlin aus. [4]

Hier muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Bundeswehr eine reine
Defensivarmee ist. Ihre Bewaffnung ist für einen Angriffskrieg unzureichend
ausgerüstet. Gerade die Folgen der Bundeswehrreform zeigten doch die be-
stehenden Schwächen auf, die nur mit Hilfe einer grundsätzlichen Diskussion
über die Form des auszuübenden Wehrdienstes und die wehrtechnische Aus-
stattung bei Auslandseinsätzen gelöst werden kann.

Anfang der Sechziger Jahre wurde der westdeutschen Regierung eine Be-
teiligung an härteren, anderen Mitteln der „Durchdringung“ im algerischen
Bürgerkrieg vorgehalten. So seien allein 3 Milliarden Mark von der Bundes-
republik mitfinanziert worden. Auch wurden 30.000 junge Westdeutsche an-
gesprochen, also 70 % des Mannschaftsstandes der französischen Fremden-
legion in diesem Gebiet, von denen bereits 8.500 gefallen seien. Angesichts
des Aufbaus eines atomaren Schutzschirms durch Frankreich beteiligten sich
ebenfalls westdeutsche Firmen an den Atombombenversuchen in der Sahara
mit westdeutschem Kapital und entsprechenden Spezialisten. Die Krönung
war der Vorwurf in Richtung des damaligen Verteidigungsministers Franz
Josef Strauß (1915-1988) und seiner Generale Speidel und Heusinger, die
häufig Algerien und andere Teile Nordafrikas bereisten auf der Suche nach
Stützpunkten für die westdeutsche NATO-Wehrmacht. [5] Viele Jahre später
war er allerdings wieder willkommen, als er der zahlungsunfähigen DDR mit
westdeutschen Krediten half. Strauß ist lediglich vorzuwerfen. dass er sich
über den erklärten Verzicht der Bundesrepublik auf den Einsatz von Atom-
waffen hinwegsetzen wollte.          

Mitte der Sechziger Jahre wird in den östlichen Medien plötzlich von einem
westdeutschen Militarismus gesprochen, der sich unter der aktiven Schirm-
herrschaft des US-Imperialismus zu einem neuen Kriegsherd in Europa ent-
wickle. [6]  Hier muss klar und deutlich gesagt werden, dass die frühere DDR
nicht nur reguläre Streitkräfte, wie die Nationale Volksarmee (NVA), besaß,
sondern auch paramilitärische Kampfgruppen der Arbeiterklasse (Betriebs-
kampfgruppen), auf die man im Ernstfall zurückgreifen konnte. Denn nicht
umsonst galt die DDR im Westen als der typische militaristische Staat.

Was Algerien betraf, war dies die reinste Heuchelei. Denn die sowjetische
Außenpolitik unter Chruschtschow sah die nationale Befreiungsbewegung
in diesem Land als eine interne Angelegenheit Frankreichs an. Erst als der
Sieg des algerischen Volkes in seinem Befreiungs- oder Widerstandskrieg
gegen die französische Aggression von vornherein feststand, und schließ-
lich Frankreich sich mit Algeriens Unabhängigkeit einverstanden erklären
musste, verkündete sie in aller Eile ihre Anerkennung. Trotzdem brüsteten
sich die Führer der KPdSU mit ihren befreundeten Vasallen noch mit ihrer
Schande und behaupteten, dass auch der Sieg, den das algerische Volk
mit seinem Blut bezahlte, ihrer Politik der „friedlichen Koexistenz“ zugute
geschrieben werden muss. [7]  Zu dieser Zeit, als die genannte Broschüre
herausgegeben wurde, ging man noch von einer Zwei-Lager-Theorie aus
und schlug die westeuropäischen Länder Nordamerika zu. Infolge des in
Vietnam tobenden Krieges wurde vom chinesischen Blickwinkel aus eine
Drei-Lager-Theorie entwickelt, die die westeuropäischen Staaten von den
USA löste. Diese widersprach der herkömmlichen Theorie und wurde zu
einem Kritikpunkt innerhalb der kommunistischen Weltbewegung.    

ANMERKUNGEN
[1] J. W. Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR,
     Verlag für fremdsprachige Literatur, Beijing (China) 1972, Seite 35.
[2] Georgi Dimitroff, Ausgewählte Schriften, Band 3 (1935-1948), Dietz
     Verlag, Berlin-Ost 1958, die Seiten 604 + 605.
[3] Georgi Dimitroff, Ausgewählte Werke, Band 3 (1946-1949), Sofia
     Press, Sofia (Bulgarien) 1976, Seiten 170/71.
[4] Kim Il Sung, Ausgewählte Werke, Band III, Verlag für fremdsprachige
     Literatur, Pyongyang (KDVR) 1977, Seite 221.
[5] Joachim Peck, KOLONIALISMUS OHNE KOLONIEN (Der deutsche
      Imperialismus und China 1937), Akademie Verlag, Berlin-Ost 1961,
      die Seiten 13 + 14.
[6] wie [4], jedoch Band IV, Seite 389.  
[7] DIE VERFECHTER DES NEUEN KOLONIALISMUS (Vierter Kom-
     mentar zum offenen Brief des ZK der KPdSU), im Verlag für fremd-
     sprachige Literatur, Beijing (China) 1963, Seite 16.