DIE MODERNISIERUNG DER CHINESISCHEN WIRTSCHAFT

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

In den Jahren der Großen Proletarischen Kulturrevolution (1966-1976) hatte
sich der Lebensstandard des chinesischen Volkes drastisch verschlechtert.
In dieser Zeit gab es fast keine Lohnerhöhungen. Im Jahre 1976 sank der
Durchschnittslohn um 4,9 %. Dennoch nahm die Bevölkerungszahl in den
Städten ständig zu. Allerdings blieb der Städtebau, der Bau von Wohnungen,
von Schulen und Krankenhäusern weit hinter der Bevölkerungsentwicklung.
Viele Produkte der Leicht- und Textilindustrie waren minderwertig und teuer,
zudem mangelte es an einem tiefen Sortiment. Die Versorgung mit Nahrungs-
mitteln war sehr knapp bemessen. Das Handels- und Dienstleistungsnetz war
völlig unzureichend. Die Stadtbevölkerung hatte große Schwierigkeiten, ihre
tägliche Lebensweise zu bewerkstelligen (CHINAS SOZIALISTISCHE WIRT-
SCHAFT – Ein Abriss der Geschichte -1949-1984-, Seite 425).

Typisch für die Wohnverhältnisse in China waren die „Ohrhäuser“. Darin waren
Schlafzimmer oder Nebenräume, wie Küche, Bad, Klosetts, untergebracht. Die
Ausmaße der Schlafräume waren durch den Bau der Schlafstatt , des „Kang“,
festgelegt. Dieser Kang ist ein 1,20 m breites Bett, das bei Tag zum Sitzen und
als Unterhaltungsecke verwendet wird. Man stellt kleine Tischchen darauf, die
als Armstützen oder als Teetische dienen. Diese Bettstatt, 45 cm hoch, ist aus
Ziegeln mit Feuerzügen gemauert, also ein richtiger Ofen, der vom Zimmer aus
oder von außen her mit Briketts in Kugelform geheizt wird (M. Schütte-Lihotzky,
Millionenstädte Chinas – Bilder- und Reisetagebuch einer Architektin, Seite 49)

So wird es verständlich, dass sich die Chinesen nach einem besseren Leben
sehnten. Vor dem Sturz der Viererbande wurde eine Politik der allgemeinen
Armut gepredigt. Mit der Rückkehr von Deng Xiaoping in die Politik wurden
wieder die vormals gescheiterten Versuche einer Modernisierung der Wirt-
schaft Chinas aufgenommen. Dennoch gab es im Zentralkomitee der KP
Chinas immer noch Leute, die den früheren Einflüssen von Lin Biao und
der Viererbande anhingen und durch Gerüchte oder durch das verleumde-
rische Gerede den neu eingeschlagenen Weg als Abweichung attackierten
(Ausgewählte Schriften -1975-1982-, die Seiten 194/95).

Daher beriefen sich die Anhänger der Reformen auf Friedrich Engels, der
im Jahre 1890 an Otto v. Boenigk folgende Zeilen schrieb: „Die sogenannte
‚sozialistische Gesellschaft‘ ist nach meiner Ansicht nicht ein für allemal fer-
tiges Ding, sondern, wie alle andern Gesellschaftszustände, als in fortwäh-
render Verändrung und Umbildung begriffen zu fassen.“ (die Werke, Band
37, Seite 447)

BEITRAG

Mao Zedong verweist 1957 in seiner Schrift „Über die richtige Behandlung der
Widersprüche im Volke“ darauf hin, dass die grundlegenden Widersprüche in
der sozialistischen Gesellschaft noch immer die zwischen den Produktionsver-
hältnissen und den Produktivkräften sind (Einzelausgabe Seite 22). Deshalb
betrieb man eine relativ starke Kollektivierung in allen Bereichen. Doch stellte
sich schnell heraus, dass man sich in einer Sackgasse befand. So legte Zhou
Enlai schon 1964 in seinem Bericht über die Tätigkeit der Regierung vor dem
III. Nationalen Volkskongress ein überarbeitetes Programm vor, das bis Ende
2000 die Industrie, die Landwirtschaft, die Landesverteidigung, die Wissenschaft
und Technik modernisieren wollte, mit dem Ziel, China volkswirtschaftlich in die
vorderste Reihe der Welt zu stellen. Leider wurde dieses Vorhaben in den nun
folgenden Jahren durch die ideologischen Auseinandersetzungen in China selbst
torpediert. Zwar ist dieses Ziel nicht mehr ganz aufgegeben worden. Doch erst
nach dem Tode Maos ging man daran, die alte Politik der vier Modernisierungen
der chinesischen Wirtschaft zum vorrangigen Thema zu machen.

Die Volksrepublik China hatte viele Jahre das Erbe einer vorwiegend landwirt-
schaftlichen Struktur. Die Industrie war somit äußerst schwach entwickelt. Als
erstes wurde nach dem sowjetischen Vorbild der Sektor der Schwerindustrie
ausgebaut. So produzierte man 1972 23 Millionen Tonnen Stahl. Da konnte
man gleich zur Entwicklung des Maschinenbaus übergehen. Doch zeigte sich,
dass die Schwerindustrie im Gegensatz zur Leichtindustrie zu dominant war.
Deshalb sollte die Leichtindustrie jetzt im größeren Maße als bisher ausgebaut
werden. Dadurch wollte man vor allem die Armut im Land bekämpfen, indem
man die Exportorientierung vorantrieb. Mit Hilfe von westlichen Firmen wurden
Gemeinschaftsunternehmen gebildet, die zum einen das menschliche Potential
an Arbeitskräften nutzen und zum anderen die Möglichkeiten zur Beschaffung
westlicher Devisen ausschöpfen konnten. Da hatten beide einen Nutzen. So
lernten die Chinesen auch das westliche Know-how kennen und konnten letzt-
endlich bestehende Rückstände wieder wettmachen.

Mit dem Beginn der wirtschaftlichen Öffnungspolitik sah man in den Werken Le-
nins Anhaltspunkte für das notwendige Handeln. So war hier von einer Überle-
genheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus die Rede, indem im So-
zialismus die „Hebung der Produktivität der Arbeit“ (Steigerung der Arbeitspro-
duktivität) angestrebt wurde (W. I. Lenin, „Die nächsten Aufgaben der Sowjet-
macht“). Damit war in der Praxis also verbunden die Vergrößerung der Produk-
tenmenge und die Hebung der Produktionskräfte der Gesellschaft in gewaltigem
Umfang (gewaltige Steigerung der Produktivkräfte der Gesellschaft – W. I. Lenin,
„Über die Rolle und die Aufgaben der Gewerkschaften“).

Hua Guofeng übernahm nach dem Tode Maos auch die Führung in der KP
Chinas. In seine Zeit fallen die Bemühungen, die Wirtschaft Chinas aus eige-
nen Kräften zu modernisieren. Dabei wollte er die bisherigen Erfahrungen im
Wirtschaftsaufbau in die Form einer Kampagne bringen und diese entsprechend
zur Triebkraft für spätere Aufgaben machen. Erst unter dem Einfluss von Deng
Xiaoping ist es zu einer gravierenden Änderung in der Politik gekommen.

Von nun an galten folgende Prinzipien:

– Man stützt sich fortan auf die eigene Kraft. In diesem Sinne wird ein unabhängi-
ges und vollständiges Wirtschaftssystem aufgebaut.

– Die Entwicklung der Landwirtschaft genießt Priorität.

– Die vielfältige technische Struktur wird akzeptiert und einer sukzessiven Vervoll-
kommnung unterzogen.

– Das Schwergewicht wird auf die erweiterte Reproduktion und auf die Ausnutzung
des vorhandenen Potentials der Betriebe gelegt.

– Verschiedene Wirtschaftsformen sollen gleichzeitig im Nebeneinander existieren.
Dabei gilt das sozialistische Gemeineigentum als Grundlage.

– Unter der einheitlichen Führung und dem Staatsplan werden die Selbstentschei-
dungsrechte der lokalen Behörden und Betriebe nach den Gesichtspunkten des
Managements erweitert.

– Eine sozialistische geistige Zivilisation wird aufgebaut, die den Sinn für Disziplin
stärken und damit die aus dem Ideal des Kommunismus hervorgehenden guten
Verhaltensweisen fördern soll.

Quelle:
Beijing Rundschau – Spezialserien (China heute), Modernisierung – der
chinesische Weg, Beijing (China) 1983, das Kapitel: Wesen und Beson-
derheiten, Seite 17.

Bei der Modernisierung der Wirtschaft Chinas wollte man von der eigenen Realität
ausgehen, die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen zusammenfassen und
einen selbständigen Weg gehen, damit das Vorhaben von den chinesischen Beson-
derheiten geprägt bleibt.

Man sah es zwar als selbstverständlich an, dass man nach der fortgeschrittenen,
ausländischen Technologie Ausschau hält und dabei auf ausländische Geldmittel
zurückgreift. Doch wollte man hier auf der Grundlage der Gleichberechtigung und
des gegenseitigen Nutzens agieren und auf dieser Basis den wirtschaftlichen und
technischen Austausch erweitern in dem Bestreben, die Modernisierung dadurch
zu beschleunigen. Dabei sah man die ausländische Hilfe als sekundär an.

Das damals in China anzutreffende unterschiedliche Niveau der Produktivkräfte
und die sich daraus ergebene vielfältige technische Struktur verlangten unvermeid-
lich nach diversen Wirtschaftsformen und Betriebsverwaltungen. Dabei sollte aber
für lange Zeit die bisherige Eigentumsstruktur, die auf dem sozialistischen Gemein-
eigentum beruht, in einem ziemlich langen Zeitraum beibehalten werden, ergänzt
durch andere verschiedene Wirtschaftsformen. Dadurch würden die in China be-
stehenden Betriebsverwaltungen flexibler und vielseitiger.

Den Durchbruch stellte in den Städten die Zulassung von Genossenschaftsbetrieben
verschiedenster Art dar, die besonders mit der Beteiligung von Investitionen Einzel-
ner entwickelt wurden. Dabei dachte man an das Prinzip der Freiwilligkeit und des
gegenseitigen Nutzens und nicht an die Zwangskollektivierung, wie in früheren Jah-
ren geschehen.

In der letzten Konsequenz aller Überlegungen strebte man Gemeinschaftsunterneh-
mungen (Joint Venture) sowohl mit chinesischer als auch ausländischer Investitions-
beteiligung und andere vereinigte Betriebe an, in denen verschiedene Eigentumsfor-
men etwas locker verbunden sind. Zur Beruhigung einer Reihe von Skeptikern hat
man darauf hingewiesen, dass die zur damaligen Zeit vorzufindende sozialistische
Natur in China dadurch nicht beeinträchtigt und auch in künftigen Zeiten keineswegs
negativ beeinflusst würde.