DIE HOCHZEIT DER DEUTSCHEN BINNENSCHIFFFAHRT

AUTOR: Josef Theobald

In den Sechziger Jahren gab es im Westen Deutschlands zahlreiche
Reedereien. Nicht wenige Montanbetriebe hatten eigene Binnenschiffe
in ihrem Bestand. Es gab damals die Reedereien Harpen, Klöckner, Ha-
niel und Raab Karcher. Im Tankbereich etablierte sich die Firma Dettmer.
Ihre Binnenschiffe hatten im Idealfall eine 3-Mann-Besatzung. Sie bestand
aus dem Schiffsmann, aus dem Matrosen und aus dem Schiffsjungen. Bei
fehlendem Personalbestand wurden die Matrosenfrauen aktiviert, um bei
einzelnen Verrichtungen zu helfen. Auch waren in der wärmeren Jahreszeit
die jeweiligen Familien mit an Bord. Am besten ausgestattet war die Woh-
nung des Schiffsmanns. Es war eine komplette Wohnung im Kleinen. Am
Anfang heizte man noch mit Kohlen. Mit der Zeit wurde die Ausstattung auf
den Schiffen aber immer komfortabler.

Neben den mit Dieselöl betriebenen Motorschiffen gab es auch Schlepp-
schiffe. Diese konnten sich nur mit Hilfe von Schleppern fortbewegen. Im
Laufe der Zeit betrieb man größere Schubverbände, die mehrere Schlepp-
schiffe gleichzeitig transportieren konnten. Auch kamen später Küstenmo-
torschiffe (KüMo) auf, die sowohl see- als auch für den Rheinstrom tauglich
waren. Diese konnten also im Küstenbereich und auf dem Rhein operieren.

Die Ladung war meist abhängig von der Jahreszeit. Im Winter beförderte
man hauptsächlich Kohlen. Im Sommer war es Metallschrott oder Kiessand
aus dem Elsass, der z. B. bis nach Heilbronn befördert wurde. In den
Siebziger Jahren beförderte man auf Schleppschiffen die Schlacke aus
den Kohlengruben im Ruhrpott, die in den Niederlanden zur Deichbefesti-
gung verwendet wurde. In diesen Jahren wollten die Niederländer dem
Meer Land abringen und es für den Bereich des Tourismus öffnen. Es
geht hier um die Provinz Zeeland (deutsch: Seeland). Um in Zukunft
Sturmfluten zu verhindern, wurden ab 1960 die Deltawerke gebaut. Ein
nicht unwesentlicher Nebeneffekt war die Abriegelung der Nordsee von
den kleinen Seitenarmen und Flussmündungen, so dass die Verbindungen
der Provinz mit dem Rest der Niederlande wesentlich verbessert wurden.
Die wirtschaftliche und soziale Struktur der Inseln Zeelands wurde durch
die festen Verbindungen mit dem rückwärtigen Land stark verändert. Die
ehemals abgelegenen Gebiete sind von der Randstad aus nun binnen einer
Stunde zu erreichen. Der Tourismus ist dadurch stark angestiegen.

In den Siebziger Jahren waren allerdings die Küstengebiete noch uner-
schlossen. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Lediglich diejeni-
gen Arbeitskräfte, die im Deichbau tätig waren, waren anzutreffen. Hin-
zu kamen noch einzelne Schiffsbesatzungen, die mit ihren Schiffen an der
Küste zum Löschen anlegten. Deshalb fand man noch unberührte Strände
vor.

Um die soziale und schulische Situation der Schiffsbesatzungen zu ver-
bessern, gründete man schon im Jahre 1856 anlässlich der Goldenen
Hochzeit von Franz und Friederike Haniel das Krankenhaus Hanielstift.
Dazu gesellten sich Schifferheime (Hotels für die Schiffsbesatzungen)
und ab 1866 eine höhere Bürgerschule, aus dem später das Schiffer-
kinderheim Nikolausburg in Duisburg-Ruhrort hervorging.

In den Siebziger Jahren zogen sich schließlich wieder viele große Un-
ternehmen aus der Binnenschifffahrt zurück und überließen es privaten
Schiffseignern, das Frachtgeschäft auf den Binnengewässern weiter zu
betreiben. Auch wurden die kleineren Schiffe durch Schubverbände ver-
drängt. Auch sanken die Frachtraten. Es wurde immer schwieriger, in
der Binnenschifffahrt aus Kostengründen die eingesetzten Schiffe zu
befahren. Deshalb gab es hin und wieder Versuche, die vorhandenen
Schiffe zu verlängern, um dadurch den Frachtraum zu erweitern.