DIE BODENREFORM IN CHINA

AUTOR: Josef Theobald

Was die Bodenreform in China betrifft, gibt es zwei Augenzeugen-
berichte.

Der eine Bericht floss in einen Roman von Zhou Libo mit dem Titel
„Orkan“. Dieser erschien in zwei Fassungen. 1951 gab der Verlag
„Tribüne“ des FDGB in der früheren DDR eine Erstfassung heraus.
Es war eine Übersetzung aus dem Chinesischen von Yang En-lin
und Wofgang Müncke. 1979 wurde der Roman in China redaktio-
nell überarbeitet und durch ein Vorwort bzw. durch graphische Dar-
stellungen einzelner Szenen ergänzt. Der Autor Zhou Libo (1908-
1979) erhielt für sein Werk 1951 den Stalinpreis für Literatur. Im
Todesjahr erschien sein Bestseller erneut.

Der zweite Bericht erschien 1972 in der Edition Suhrkamp in zwei
Bänden. Der Autor war William Hinton. Dieser schrieb eine Doku-
mentation über die Revolution in einem chinesischen Dorf mit dem
Titel „Fanshen“. Hinton war 1948 ein Beobachter innerhalb eines
Arbeitsteams, das im Auftrag der Volksregierung und des Kreisko-
mittees der KP Chinas im Kreis Lucheng tätig war.

In den westlichen Medien wird die Bodenreform meist mit knapp
1,2 Millionen Hinrichtungen von Oktober 1949 bis Oktober 1950
in Verbindung gebracht. Der Kampf gegen die Banditen, Geheim-
agenten, örtlichen Despoten und anderen Konterrevolutionären
überschattete die Bodenreform (Mao Zedong, AW, Band V, die
Seite 28). Die KP Chinas hatte starke trotzkistische Wurzeln.
Deshalb waren die gestarteten Kampagnen nicht selten über-
zogen.

Die umfassende Bodenreform in den befreiten Gebieten bildete
eine bedeutende Grundlage für die Zerschlagung der Guomin-
dang-Truppen durch die Volksbefreiungsarmee. Nach der Kapi-
tulation Japans verstärkten sich die Forderungen der Bauern
nach Aufteilung des Bodens. Um diesen Forderungen zu ent-
sprechen, erließ die KP am 4. Mai 1946 ein Dekret, in der die
Partei die bisher durchgeführte Politik der Senkung von Pacht-
und Zinssätzen durch die Konfizierung des Bodenbesitzes der
Grundbesitzerklasse und dessen Aufteilung des Bodens an die
Bauern ablöste. Im September 1947 legte die KP Chinas das
„Grundsätzliche Programm für die chinesische Agrargesetzge-
bung“ vor. Der Boden sollte denjenigen zugeteilt werden, die
ihn auch bebauen. Damit löste man sich vom feudalen und
halbfeudalen System der Bodenbesitzverhältnisse. Dies löste
in den befreiten Gebieten eine breit aufgestellte Agrarrevolu-
tion aus. Etwa 100 Millionen Bauern erhielten Land. Das gab
den Bauern einen ungeheuren Auftrieb, sich aktiv am Befrei-
ungskrieg zu beteiligen oder ihn zu unterstützen. Das Hinter-
land wurde als Operationsbasis gestärkt. (Jan Bozan, Shao
Xunzheng und Hu Hua, Kurzer Abriss der chinesischen Ge-
schichte, 2. Auflage, Beijing 1982, Seite 258)

Während der Agrarrevolution verwendete man den Begriff
„fanshen“, das „sich umdrehen“ bedeutet. Eine weitere
Bedeutung wäre „etwas loswerden, sich (von etwas) e-
manzipieren“. Hinton geht noch weiter: „sich erheben,
das Joch der Grundherren abwerfen, zu Boden, Vieh,
Geräten und Häusern gelangen, den Aberglauben ab-
legen, die Gleichheit zwischen den Geschlechtern her-
stellen“.

Vor der Bodenreform hatten nicht nur der Landadel, die
Kompradoren und die Großbauern größeren Landbesitz,
sondern auch die Kirchen. Nach der Revolution von 1911
gründeten sie eigene Fördergesellschaften für in Not ge-
ratene Glaubensgenossen. Diese verliehen das Geld zu
sehr hohen Zinsraten, die monatlich bis zu 30 % betragen
konnten. Von ihren Überschüssen kaufte die Gesellschaft
Land und profitierte ebenfalls von der Zahlungsunfähigkeit
der Darlehensnehmer. Ende der Dreißiger Jahre besaß die
Gesellschaft 180 Mu (1 Mu = 1/15 ha) Land, nahm von den
25 Familien Pacht und von von weiteren 31 Familien Zinsen
ein. Damit verfügte sie über den größten Grundbesitz. Durch
die hohe Zinslast waren in Chanchuang von den 32 Familien
drei gezwungen, ihr ganzes Land zur Schuldentilgung zu ver-
kaufen. Weitere drei veräußerten ihre Häuser. In Einzelfällen
beschlagnahmte die Gesellschaft das Land. Die betroffenen
Familien mußten Söhne, Töchter und Zugtiere verkaufen, um
ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Die
Folge war eine Kampagne gegen die Kirche. Katholiken von
27 Dörfern und drei Kreisen kamen zusammen, um ihren Bi-
schof, mehrere ausländische Missionare und die Bedienste-
ten der Südkathedrale (das Herz des Katholizismus auf dem
Shangtang) anzuklagen. (Fanshen, Band 1, die Seiten 95/96
und 200)

In den diversen Dokumentationen der Westmedien sind bei
der Bodenreform und den Drangsalierungen eine größere
Menge Soldaten beteiligt. Das kann nur Ende der Vierziger
Jahre bzw. Anfang der Fünfziger Jahre gewesen sein. Denn
bis 1949 gab es noch den Befreiungskrieg und ab 1950 die
Abordnung nach Nordkorea. In Wirklichkeit gab es nur Ar-
beitstrupps mit fünf Mann, geführt von einem Hauptmann.
Diese wohnten bei den Bauern. (Orkan, Seite 21) Die Be-
freiung von den Verhältnissen des Halbkolonialismus und
Halbfeudalismus sollte von den Massen selbst ausgelöst
werden. Die vorhandenen Arbeitstrupps sollten hier nur
Anregungen und Hilfestellungen geben.

In der Praxis gingen Enteignungen oft zu weit, weil eine
funktionierende Abgrenzung von Groß- und Mittelbauern
fehlte. Dies führte dazu, dass beide in einen Topf gewor-
fen wurden. So mussten die Bauern, die ihr Eigentum
zu Unrecht verloren hatten, neu angesiedelt werden.
Auch gab es den Anspruch auf Wiedergutmachung.
Die KP Chinas verstand es mit der Zeit gut, nach um-
fangreichen Analysen und entsprechenden Schluss-
folgerungen die gemachten Fehler zu korrigieren.
(Fanshen, Band 2, die Seiten 312 + 383/84)

Begriffsklärung
Die Kompradoren arbeiteten entweder direkt für aus-
ländische Firmen oder eröffneten eigene Geschäfts-
und Warenhäuser, in denen sie die importierten Wa-
ren verkauften und Exportgüter für die Ausländer ein-
kauften.