DER PURITANISCH-JÜDISCHE DIALOG IM 17. JAHRHUNDERT

AUTOR: Josef Theobald

Die Britisch-Israel-Theorie hatte ihren Ursprung im Dialog zwischen Juden und
Puritanern im 17. Jahrhundert, als es darum ging, eine endgültige Heimstatt für
jene Juden zu schaffen, die wegen ihres Glaubens Portugal verlassen mussten.
Die herausragende Persönlichkeit war in diesem Zusammenhang der Rabbiner
Manasseh ben Israel (1604-1657), der sich mit der Geschichte und Zukunft der
„zehn verlorenen Stämme Israels“ befasste. Nach dem Sieg der Puritaner und
der Cromwellschen Revolution kam es zu einer Annäherung. Denn man vertrat
den Standpunkt, dass in England auch wieder Juden leben müssten, bevor es
dazu käme, dass nach biblischer Ankündigung die Juden wieder in ihr ange-
stammtes Land ziehen könnten, um dort die Ankunft des Messias sowie die
Errichtung des ewigen Gottesreiches zu erwarten. Sowohl die wieder in der
Hauptstadt London ansässig gewordenen „Marranen“ als auch viele Christen
mittleren Europas lebten in jener Zeit im „messianischen Fieber“. (Paul Ger-
hard Aring, „Wage du, zu irren und zu träumen…“ Juden und Christen unter-
wegs, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 1992, Seiten 133 – 150)

Aus jüdischen Quellen ergibt sich, dass der Sohn von Manasseh ben Israel
mit Namen "Samuel" sich so in seiner Disputation zu Oxford auszeichnete,
dass er mit Ehren überhäuft wurde. Denn dieser erhielt neben der philoso-
phischen auch die medizinische Doktorwürde. Die Wirksamkeit der ersten
jüdischen Einwanderer war in der Tat so gewaltig, dass sich in weniger als
acht Jahren nicht nur viele Juden niederlassen durften, sondern auch bald
mit dem Bau einer Synagoge in London begonnen wurde. (die Monatsschrift
für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Zweiter Jahrgang, Leipzig
1853, Nachdruck bei OLMS 1969, Seite 134)

Diese Lehre hatten auswandernde Puritaner mit in die Neue Welt gebracht
und blieben bei einigen adventistischen Gruppen heimisch. Dies betraf na-
türlich auch andere Lehren, wie die Sabbatheiligung und die Leugnung der
Dreieinigkeit. Diverse Publikationen der Weltweiten Kirche Gottes selbst und
der hieraus entstandenen Splittergruppen, wie z. B. die Philadelphia Church
of God oder die Living Church of God, bestätigen dies. Hierbei ist stets da-
rauf hinzuweisen, dass es in den USA viele Freikirchen mit eigenen Sonder-
lehren gibt. Die gleichen Verhältnisse scheinen auch hier allmählich Eingang
zu finden. Als Beispiel verweise ich nur auf die dreifache Engelsbotschaft bei
den historischen Adventisten (Offenbarung 14).

NACHTRAG

Oliver Cromwell (1599-1658) und das ihm anhängende Herr erkämpften
im 17. Jahrhundert im britischen Königreich die Religionsfreiheit. Er und
seine Soldaten lasen vor und nach dem Kampfe die Bibel. Nur die großen
Heldengestalten des Alten Testaments, welche Gottesfurcht im Herzen
und das Schwert in der Hand hatten, konnten den Puritanern als Vorbild
dienen. In jedem Vers der biblischen Schriften Josua, Richter, Samuel
und Könige sahen sie ihre eigene Lage abgespiegelt, jeder Psalm schien
eigens für sie gedichtet zu sein. Die Vertiefung in die Geschichte, die Pro-
phezeiung und die Poesie des Alten Testaments, als Ausfluss göttlicher
Offenbarung, erzeugte in diesem Kreise den Gedanken, dass das Volk,
der Träger und Erzeuger aller dieser Herrlichkeit und Größe, besonders
bevorzugt und auserkoren sein müsse. Unter den Puritanern gab es da-
her ernstliche Bewunderer des „Volkes Gottes“. Cromwell träumte von
einer Versöhnung des Alten und Neuen Testaments, von einer innigen
Verbindung des jüdischen Gottesvolkes und der englisch-puritanischen
Gottesgemeinde. Dem jüdischen Volk sprach er sogar im tausendjährigen
Reich der Heiligen eine glänzende Stellung zu. (Heinrich Graetz, VOLKS-
TÜMLICHE GESCHICHTE DER JUDEN, Band II, Parkland Verlag, Köln
2000, die Seiten 732/33)

Die Ansiedlung der Juden in England ist auch wirklich gelungen. Davon
zeugt heute die Große Synagoge von London, die als die erste aschke-
nasische Synagoge, also als Synagoge mitteleuropäischer Juden, 1690
in London erbaut und 1722 neu errichtet wurde.

Ende der Neunziger Jahre hatte ich einmal Probleme mit einem Gemeinde-
leiter der Weltweiten Kirche Gottes in Darmstadt. Dieser kannte offenbar
diese Vorgeschichte nicht. Herbert W. Armstrong (1892-1986) baute auf
dem Fundament der Britisch-Israel-Theorie seine Lehren auf und gründete
in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts als bekannter Radioprediger
in den USA die Weltweite Kirche Gottes. Den neu entdeckten jüdischen
Festtagen gab er schließlich einen christlichen Sinn. Somit hat der da-
malige Leiter der Darmstädter Gemeinde seiner Kirche einen großen
Schaden zugefügt. Man kann eben nicht mit einer Brechstange alte
Glaubensvorstellungen von heute auf morgen radikal verändern.