DER BEGINN DER KULTURREVOLUTION

AUS DER REIHE: HISTORISCHER RÜCKBLICK

AUTOR: Josef Theobald

Mit dem Rundschreiben des Zentralkomitees der KP Chinas vom 16. Mai
1966 begann in China offiziell die Kulturrevolution. Die Vorboten kündigten
sich im November 1965 an, als in der chinesischen Zeitschrift „Wenhui Bao“
eine Kritik an dem Stück „Hai Rui wird seines Amtes enthoben“ von Yao Wen-
yuan veröffentlicht wurde. Es handelte sich bei diesem Stück um eine von Wu
Han, dem früheren Vizebürgermeister der Stadt Beijing, neugeschriebene Pe-
king-Oper, die ein historisches Thema behandelte. Der Held dieser Oper war
für seine Unbestechlichkeit bekannt und auch dafür bekannt, dass er seine
Meinung offen vor dem Kaiser äußerte. Dieser Artikel wurde von Jiang Qing
und Zhang Chunqiao gemeinsam verfasst und markiert bei Historikern den
Beginn der Großen Proletarischen Kulturrevolution.

Der Auslöser der Kulturrevolution waren die Spannungen zwischen der da-
maligen Sowjetunion und China. Diese begannen im Februar 1956 anläss-
lich des XX. Parteitages der KPdSU in Moskau. In seiner Geheimrede vor
einem geschlossenen Publikum hatte Nikita Chruschtschow Stalin scharf
angegriffen und seine Verbrechen offenbart. In den Bruderparteien galt
Stalin aber oft als jemand, der mit harter Hand ein großes Imperium schuf.
Dies brachte ihm entsprechenden Respekt ein. Gerade die jungen Parteien
in der früheren kommunistischen Internationale orientierten sich an der von
Stalin propagierten Weltrevolution und hatten auch kein Interesse an der
Neuordnung der Wirtschaftspolitik. Chruschtschow dagegen setzte auf
mehr Liberalisierung und auf die Erweiterung des privaten Konsums.
Ein Kennzeichen des Stalinismus war der Klassenkampf, der von einer
Unversöhnlichkeit der verschiedenen Klassen ausgeht. Im Rahmen der
Entstalinisierung in der damaligen Sowjetunion strebte man nun eine
Aussöhnung der Klassen an.
 

Zwar wurde in China Stalin wegen seiner Fehler in den Jahren der letzten
Periode des Zweiten Revolutionären Bürgerkrieges und ebenfalls in der
Anfangsperiode des Widerstandskrieges gegen die japanische Aggression
kritisiert. Auch sah man sich zwischen 1949 und 1950 einem starken Druck
ausgesetzt, da man glaubte, die Sieger des letzten revolutionären Bürger-
krieges seien mit den Partisanen Titos vergleichbar. Dennoch stufte man
Stalin als einen großen Marxisten ein. [1]

Deshalb hielt China an der bisherigen Außenpolitik fest. Man müsse am
Prinzip der proletarisch-internationalistischen Einheit festhalten. Außer-
dem trete man dafür ein, dass sich die sozialistischen Länder und die
kommunistische Weltbewegung auf der Grundlage des Marxismus-
Leninismus fest zusammenschließen müssten.

Es fand sich allerdings Anfang der Sechziger Jahre nur ein Partner, der
den gleichen Weg einschlug. Dies war die Partei der Arbeit Albaniens
(PdAA) unter Enver Hoxha, die sich schon früher von der Sowjetunion
lossagte. Allerdings war man in China jedoch einige Zeit zögerlich, sich
von der Sowjetunion endgültig zu distanzieren. Denn es fehlte ihr beim
sozialistischen Aufbau noch an Erfahrung. Deshalb war man immer noch
bereit, von der Sowjetunion zu lernen und ihre Erfahrungen zu studieren.
[2]

Der Kampf gegen N. Chruschtschow war nicht nur ein außenpolitischer
Kampf. Auch in China nannte man Liu Shaoqi, den schon im April 1959
gewählten Vorsitzenden des Staates, den chinesischen Chruschtschow.
Ihm warf man vor, in China die gleiche revisionistische Politik wie in der
Sowjetunion zu betreiben.    

Zwischen 1963 und 1966 wurde in China eine Erziehungsbewegung
durchgeführt, die stark vom chinesischen Militär beeinflusst war. Aus
diesem Grunde war nicht verwunderlich, dass Lin Biao, damals Chinas
Verteidigungsminister, im April 1969 im Verlaufe des IX. Parteitages der
KP Chinas zum offiziellen Nachfolger Maos bestimmt wurde. In der frü-
heren Sowjetunion machte fortan der Begriff „Kasernensozialismus“ die
Runde.

Mit der Flucht Lin Biaos mit einem Flugzeug ins Ausland und dem Ab-
sturz in Undurkhan (Mongolei) im September 1971 verschärfte sich die
Situation in der Partei. Eine sich herausbildende Viererbande schickte
sich an, das Erbe Maos anzutreten. Doch mit der Verhaftung dieser
Gruppe mit Hilfe der alten Parteikader Anfang Oktober 1976 wurde
die Kulturrevolution endgültig beendet.

Oft waren die Zustände während der Kulturrevolution chaotisch. Nicht
wenige Todesopfer waren in diesen Jahren zu verzeichnen. Vieles ist
auf den Kopf gestellt worden, so dass sich gerade ausländische Leser
der damaligen Publikationen mit Kopfschütteln äußerten. Dennoch war
die Zeit fruchtreich. In China lernte man mit Kritik umzugehen. So lernte
man Richtiges vom Falschen zu unterscheiden. Die propagierte Dialektik
beruhte auf dem in der chinesischen Philosophie basierenden Dualismus.
Daher war man gegenüber dem dialektischen Denken in der Sowjetunion
weit überlegen.

ANMERKUNGEN
[1] Mao Zedong, Über die zehn großen Beziehungen, Verlag für fremd-
     sprachige Literatur, Beijing (China) 1977, Seite 32.  
[2] Mao Zedong, Rede auf der vom Zentralkomitee der KP Chinas ein-
     berufenen erweiterten Arbeitskonferenz, Beijing Rundschau, Nr. 27
     vom 11. Juli 1978, die Seiten 14, 18 + 19.