Exkurs: DIE AUFHEBUNG DES BÜRGERLICHEN RECHTS

AUTOR: Josef Theobald

Im Jahre 1975 erschien in der Beijing Rundschau eine Artikelserie zum
Studium der Diktatur des Proletariats, die in ihrem zweiten Teil auch
das sozialistische Prinzip „Jedem nach seiner Leistung“ behandelte.

Hier sprach man sich dafür aus, das genannte Prinzip durch das „Jedem
nach seinen Bedürfnissen“ zu ersetzen.

Das Hauptargument der damaligen Viererbande, das die Verteilung nach
der Leistung zum kapitalistischen Faktor erklärte, war, dass Marx in der
„Kritik des Gothaer Programms“ in Bezug auf die Verteilung nach der
Leistung vom „bürgerlichen Recht“ sprach (ebenso wie Lenin später in
„Staat und Revolution“). Dem zur Folge müsste das „bürgerliche Recht“
daher ein „kapitalistischer Faktor“ sein, „absterbender Kapitalismus“ und
eine „wichtige ökonomische Grundlage, auf der neue bürgerliche Elemente
entstehen“ würden. In Wirklichkeit ist aber das in der ersten Phase der kom-
munistischen Gesellschaft noch vorhandene „bürgerliche Recht“, von dem
Marx in der „Kritik des Gothaer Programms“ spricht, ein abstrakter Begriff,
der etwa mit dem Recht des Austauschs gleicher Quanten Arbeit gleich-
gesetzt werden kann. Das bedeutet keineswegs, dass dieses Recht an
sich objektiv dem Wesen der Bourgeoisie als ausbeuterische Klasse
entspricht. (Beijing Rundschau, Nr. 31 vom 8. August 1978, Seite 9)

Bekanntlich blieb ein Hauptwerk von W. I. Lenin mit dem Titel „Staat und
Revolution“ unvollendet. Es fehlte das siebte Kapitel „Die Erfahrung der
russischen Revolutionen von 1905 und 1917“. In dem Rechenschafts-
bericht auf dem XVIII. Parteitag über die Arbeit der KPdSU versuchte
J. W. Stalin eine Vollendung dieses Werkes. So sagte er, dass nach
dem Sieg des sozialistischen Wirtschaftssystems die Funktion der
militärischen Unterdrückung innerhalb des Landes in Wegfall kam,
also abstarb, denn die Ausbeutung ist vernichtet, Ausbeuter gibt es
keine mehr und daher auch niemanden, der zu unterdrücken wäre.
An Stelle der Funktion der Unterdrückung erhielt der Staat die Funk-
tion, das sozialistische Eigentum vor Dieben und Plünderern des Volks-
guts zu schützen. („Fragen des Leninismus“, Dietz Verlag, Berlin-Ost
1951, Seiten 727/28)

Diesen Hinweis gibt es leider nur in älteren Ausgaben von „Marx –
Engels – Marxismus“, wie die sowjetische Ausgabe von 1947, die
auf der Seite 310 darauf verweist. In neueren Ausgaben ist leider
dieser Hinweis weggefallen. Das ist die Folge der Entstalinisierung,
die in der Sowjetunion nach dem Jahr 1956 im Anschluss nach dem
XX. Parteitag der KPdSU im Februar einsetzte.

Ergänzend muss hier aber ausgeführt werden, dass es in den Siebziger
Jahren aus Albanien herrührend eine starke Strömung gab, die noch in
der täglichen betrieblichen Praxis bestehenden Lohnunterschiede ganz
abzuschaffen. Man sah hier das Ideal der gleichen Bezahlung trotz der
unterschiedlichen Tätigkeiten und Funktionen. Doch konnte sich dieser
Ansatz bislang in der heutigen Betriebspraxis kaum durchsetzen.