DIE STUDENTENPROTESTE AB 1965 IN DER BRD

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

Die Studentenproteste in den Jahren 1965/66 bis 1968/69 werden allgemein
der Zeit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) zugerechnet. Diese
war eine politische, locker organisierte Bewegung linkischer studentischer,
teils auch gewerkschaftlicher Gruppen, die versuchte, gesellschaftliche Ver-
änderungen durch provokative Protestaktionen durchzusetzen. Im Streit um
eine Hochschulreform, um die bestehende Pressekonzentration und wegen
der Notstandsgesetze verstand sich die APO als antiautoritäre Reformbewe-
gung. Der Hintergrund war damals die Große Koalition aus CDU/CSU und
SPD, bei der eine ernstzunehmende parlamentarische Opposition fehlte.
Demnach suchte die APO ihre Ziele auf alternativem Wege zu erreichen.

BEITRAG

In der Bundesrepublik Deutschland organisiert sich nach dem KPD-Verbot im
August 1956 die kommunistische Bewegung völlig neu. Besonders nach der
stetig einsetzenden Entstalinisierung in der Sowjetunion und den Ereignissen
in der tschechischen Hauptstadt Prag 1968 kam es plötzlich zu einer Spaltung.
Mit der geplanten Gründung der DKP im September 1968 ist es im Vorfeld im
August in Mannheim innerhalb des SDAJ (der Sozialistischen Deutschen Ar-
beiterjugend) zur Bildung einer oppositionellen Gruppe gekommen, die sich
letztendlich abspaltete. So gab es zwei unterschiedliche Gruppe. Die eine um
Ernst Aust in Hamburg und die andere um die REBELL-Gruppe in Mannheim
mit dem Ziel, wieder nach leninistischem Vorbild eine neue antirevisionistische
kommunistische Partei aufzubauen. Zu Anfang allerdings stand man der mehr-
heitlich kleinbürgerlich-antiautoritären Studentenbewegung der Jahre 1966/67
und später sehr skeptisch gegenüber. Doch in der Außenwirkung wurden diese
Studentengruppen durch ihre Aktionen in der Öffentlichkeit bekannter. Ihnen ka-
men die damals in Rotchina propagierten bildungspolitischen Bestrebungen sehr
entgegen. Doch sollte es in den Folgejahren zu vielen Reibungspunkten zwischen
den neu gegründeten KPD-Gruppierungen verschiedener Prägung kommen.

Im August 1964 erschien die dritte Fassung des „kostbaren roten Buches“ in der
Auflage von mehr als einer Milliarde Exemplaren, das seine Zusammenstellung
dem chinesischen Militär unter dem Verteidigungsminister Lin Biao verdankte.
Im April 1969 trat unter strenger Geheimhaltung in der chinesischen Hauptstadt
Beijing (Peking) der IX. Parteitag der KP Chinas zusammen, der die Prinzipien
der Kulturrevolution und die Rolle des Militärs als Schule für das Studium der
Mao-Zedong-Ideen bestätigen sollte. So wird Lin offiziell zum Nachfolger Maos
bestimmt. Mit ihm gelangen schließlich die einstigen Protagonisten aus der Zeit
der Kulturrevolution in die Machtapparate. Damit verbunden war eine massive
Propagierung der Ideale der Kulturrevolution, auch in den deutschsprachigen
Raum hinein.

Die Studenten hatten erst ab 1965 Zugang zu Schriften, die aus China in jenen
Jahren bezogen wurden. So wurden auch die Ideen verbreitet, die zu dieser Zeit
in den chinesischen Massenmedien zu finden waren. Ihnen fehlten aber frühere
Ausgaben der Schriften Maos, wie sie schon Mitte der Fünfziger Jahre in der ehe-
maligen DDR erhältlich waren. So hätte man hier früher Abweichungen entdecken
können und eine kritischere Sicht wäre möglich gewesen. Daher war die große Be-
geisterung für Mao Zedong allein vom damaligen Zeitgeist geprägt gewesen. Mehr-
bändige Ausgaben der Werke Maos in Deutsch gab es in China erst ab 1968. Ver-
einzelte Ausgaben waren schon seit den Fünfziger Jahren erschienen. Doch der
Durchbruch im Sinne einer überzeugenden Übersetzung, die auch größere Leser-
gruppen nach sich zog, war erst zu diesem Zeitpunkt erreicht. Allerdings waren die
späteren Ausgaben das Opfer einer erneut erfolgten Umarbeitung während der Zeit
der Erziehungsbewegung von 1963 gewesen. Es sollte der Eindruck entstehen, die
revolutionäre Sache in China habe ein ständiges Aufwärtsstreben ohne Hindernisse
erlebt. Die negativen Erscheinungen wurden entweder ausgeklammert oder in einer
heroisierenden Weise anders interpretiert.

In Norddeutschland bildete sich der Kommunistische Bund (KB) heraus, der eher
als undogmatisch zu bewerten ist und sich von den maoistischen Gruppen stark
abgrenzte.

Fast unbekannt ist die Tatsache, dass gerade durch die Verurteilung Stalins in
der Sowjetunion desorientierte kommunistische Gruppen die Ideen Maos offen
aufnahmen und folglich Mao in die Reihe der großen Marxisten-Leninisten stel-
len sollten. Den Rest besorgten schließlich die Ereignisse in Prag 1968, die in
der alten Bundesrepublik einen fruchtbaren Boden für die Verbreitung maoisti-
scher Ideen bereiteten. Plötzlich gab es in der Realität auch ein weiteres anti-
sowjetisches Lager innerhalb des westlichen Blockes.

Zur Zeit der Studentenproteste war sehr populär der Satz aus der Schrift Maos
„Über die neue Demokratie“: „Ohne Niederreißen gibt es keinen Aufbau, ohne
Eindämmen kein Fließen, ohne Stillstand keine Bewegung; …“ (Januar 1940)
Deshalb sind die Protestaktionen unter diesem Hintergrund verständlich. In der
Volksrepublik China sorgte dieser Satz für ein großes Chaos in allen Bereichen
des Landes. Aus diesem Grunde wurde nach dem Tode des 82-jährigen Mao
im September 1976 die seit 1966 andauernde Kulturrevolution nun für beendet
erklärt.

Das Resultat der Studentenproteste war die allmähliche rechtliche Verbesserung
der Stellung der Frau. Die Frau war nicht mehr „Haussklavin“ und allein auf das
Schlafzimmer, auf die Kinderstube und Küche beschränkt. Sie erhielt die volle
Freiheit der Ehescheidung, d. h. ihr erwuchsen keine Nachteile, wenn sie die
häusliche Wohnung verließ.

Gerade, was die Verhältnisse in der damaligen Sowjetunion anging, gab es im
Westen Deutschlands viele Illusionen. Denn nach einem Zeugnis sowjetischer
Literaten herrschten zu dieser Zeit in ihrem Land doppelzüngige Reden der In-
telligenz vor. Geprägt war man von innerer Zerrissenheit, die sich in einem zu-
nehmenden Zynismus, in sexuellen Ausschweifungen, in der Sehnsucht nach
dem Westen und im Studium außermarxistischer Philosophien niederschlug.