DIE FRAUENBEWEGUNG IN DEUTSCHLAND

AUTOR: Josef Theobald

Als früheste Vertreterin der radikalen Richtung in der deutschen Frauen-
bewegung gilt Hedwig Dohm (1831-1919), die schon 1873 das Frauen-
stimmrecht gefordert hatte. Im Jahre 1888 gründete Minna Cauer (1841
-1922) den Verein „Frauenwohl“, der damals eine radikale Richtung inner-
halb der bürgerlichen Frauenbewegung vertrat. Cauer schlug neue Wege
ein, mit denen sie in der Öffentlichkeit viel Aufsehen erregte. Schon in der
kürzesten Zeit entwickelte sich dieser Verein zu einem „Kampfverein“. In
der öffentlichen Diskussion bestritt er unter Hinweis auf die unbefriedigen-
den Zustände in Staat und Gesellschaft das Alleinbestimmungsrecht der
Männer.

Auf sozialdemokratischer Seite trat die proletarische Frauenbewegung
vor die Öffentlichkeit. Auf dem Gründungskongress der II. Internationale
im Juli 1889 in Paris hielt Clara Zetkin (1857-1933) ein Grundsatzreferat,
indem sie die Frauenfrage und die soziale Frage in einen Zusammenhang
stellte. Dabei machte sie vor allem die wirtschaftliche Abhängigkeit der
Frau vom Manne zum Thema. Weiterhin plädierte sie für einen gemein-
samen Kampf von Arbeiterinnen und Arbeitern gegen die Bourgeoisie.

Auf konservativer Seite kam es im März 1894 zu einem Dachverband
für die verschiedenen Frauenorganisationen im Deutschen Reich, der
sich „Bund deutscher Frauenvereine“ (BdF) nannte. Ihm schlossen sich
bis zum Jahresende 65 Verbände und Vereine mit insgesamt 50.000
Mitgliedern an. Die Idee zur Gründung eines nationalen Dachverbandes
kam aus den USA, wo seit 1891 der „National Council of Women“ be-
stand. Der Schwerpunkt der Mitgliedervereine im BdF lag sowohl in
der beruflichen als auch in der sozialen Arbeit. Die Hauptziele waren
eine bessere Ausbildung der Mädchen, die Einführung eines Frauen-
studiums sowie die Ausweitung und die Förderung der beruflichen
Möglichkeiten von Frauen. Zu den umstrittenen Fragen innerhalb
der deutschen Frauenbewegung zählte der Kampf für die politische
Gleichberechtigung. Ganz anders als in Großbritannien und in den
USA war dies für die Mehrheit der organisierten Frauen kein Thema,
sondern allenfalls ein Fernziel.

Im Oktober 1909 trat der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF)
in Darmstadt zu seiner 25. Generalversammlung zusammen. Das
zentrale Thema war die Zulassung von Frauen  zu verantwortlichen
Verwaltungsämtern. Darüber hinaus dürften Frauen auch im Justiz-
wesen nicht länger diskriminiert werden. So müssten Gerichte end-
lich weibliche Schöffen und Geschworene zulassen. Außerdem er-
neuerte der ADF die Forderungen nach einer rechtlichen, politischen
und wirtschaftlichen Gleichstellung der Frau. Dazu zählten u. a. die
Gewährung des passiven und aktiven Wahlrechts sowie eine Ver-
kürzung der täglichen Arbeitszeit für Fabrikarbeiterinnen auf maxi-
mal 10 Stunden. Der ADF gehörte damals zum größten deutschen
Frauenverein. Vielen Frauen galt er leider als zu gemäßigt. Denn
spektakuläre oder gar gewalttätige Aktionen, wie bei den britischen
Suffragetten, lehnte der bürgerliche ADF ab. [1]
   
Der Internationale Frauentag als traditioneller Kampf- und Ehren-
tag am 8. März ging auf den Antrag von Clara Zetkin zurück, den
sie auf dem II. Internationalen Sozialistischen Frauenkongress in
Kopenhagen im August 1910 stellte. Dieser Frauentag sollte in
erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dienen und
einen internationalen Charakter tragen. [2]   
 
Durch die sozialistische Revolution in Russland im November
1917 wurden dort die Rechte der Frauen im erheblichen Maße
gestärkt. Im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP)
waren die Frauen plötzlich die geschätzten Arbeitskräfte. Man
erkannte ihre organisatorischen Talente. Durch die Schaffung
öffentlicher Einrichtungen, wie Speiseanstalten, Krippen und
Kindergärten, wurden die Frauen von der häuslichen Arbeit
entlastet. [3] Vor allem in den letzten Jahren des I. Weltkrieges
bildeten sich in Deutschland Arbeiter- und Soldatenräte heraus,
die sich aber in der Nachkriegszeit auf die Seite der deutschen
Sozialdemokratie schlugen. So konnten erstmals am 19. Januar
1919 Frauen ihr Stimmrecht zur Wahl der verfassungsgebenden
deutschen Nationalversammlung ausüben. [4]

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bekamen
die Frauen am 1. Juli 1958 durch das Gesetz über die Gleich-
berechtigung von Mann und Frau mehr bürgerliche Rechte. In
Fragen der Kindererziehung hatten nun die Frauen im Gegen-
satz zu früher, als die Männer noch das Recht der alleinigen
Entscheidung hatten, mehr Rechte. Allerdings blieb hier die
traditionelle Rollenverteilung weiterhin bestehen: Die Frau
kümmerte sich um Haushalt und Kindererziehung, der Mann
um den Unterhalt der Familie. [5]

Im Jahre 1970 legte eine Sachverständigenkommission Vorschläge
zu einer umfassenden Reform des Ehe- und Familienrechts in der
Bundesrepublik vor. Wegen der vorzeitigen Auflösung des Bundes-
tages 1972 wurde ein erster Entwurf schließlich 1973 im Bundestag
beraten. Die Beratungen zogen sich bis 1976 hin; am 14. Juni 1976
wurde das neue Gesetz verkündet. Am 1. Juli 1977 trat es in Kraft.
Dadurch hatte die Frau mehr wirtschaftliche Rechte. Sie konnte nun
ohne die Einwilligung ihres Ehemannes eine berufliche Tätigkeit aus-
üben. Die Haushaltsführung konnte nur im gegenseitigen Einvermeh-
men geregelt werden. Für die Führung des Haushaltes trug sie auch
die alleinige Verantwortung (§ 1356 BGB).  

ANMERKUNGEN
[1] Die große Chronik WELTGESCHICHTE, Band 14 (1871-1914),
     Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2008, hier die Seiten
     175, 185, 221 + 333.  
[2] KLEINES POLITISCHES WÖRTERBUCH, 4. Auflage, im Dietz
     Verlag, Berlin-Ost 1983, Seite 428.
[3] W. I. Lenin, Werke, Band 29, Dietz-Verlag, Berlin-Ost 1961, die
     Seiten 418 – 420.    
[4] Die große Chronik WELTGESCHICHTE, Band 15 (1914-1932),
     Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2008, die Seite 167.
[5] Die große Chronik WELTGESCHICHTE, Band 17 (1945-1961),
     Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2008, die Seite 306.

 
ANMERKUNG ZUM BEITRAGSBILD
Eine junge Frau aus dem sozialistischen Kollektiv im Waffenrock
der Sowjetarmee mit dem russischen Sturmgewehr AK-47.
Quelle: Hilfsaktion Märtyrerkirche e. V.  (HMK)