DIE ENTWICKLUNG DES KINDERGARTENS

AUTOR: Josef Theobald

Die Anfänge der institutionellen Kleinkindererziehung gehen auf die
Gemeinschaft der Böhmischen Brüder, eine chiliastische und sozial-
revolutionäre Bewegung des 15. Jahrhunderts, zurück, die aus der
kirchenreformerischen bzw. -revolutionären Hussitenbewegung her-
vorgegangen ist. Diese Christengemeinde orientierte sich an ihrem
Sittenbuch, das bei den Kindern Regeln über das Verhalten bei Tisch,
Sitten im Verkehr mit  Vorgesetzten und Erwachsenen und Gebräuche
beim Genuss von Speis und Trank vorsah. [1] Das vor allem von Jan
Amos Comenius (1592-1670) entwickelte Erziehungsverständnis fand
einen Nachahmer bei Pastor Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) mit
seinen Strickschulen im Elsass. Pauline Fürstin zur Lippe (1769-1829)
ruft zur gleichen Zeit die erste Kinderverwahranstalt ins Leben. Den Be-
griff „Kindergarten“ prägte Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852),
der 1840 mit seiner Idee der ganzheitlichen Erziehung erstmals an die
Öffentlichkeit tritt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewinnt die aus Ita-
lien stammende Maria Montessori (1870-1952), Ärztin und Pädagogin,
Einfluss mit ihrer Vorstellung von der sachorientierten Selbsttätigkeit des
Kindes auf die Kindergarten-Pädagogik. Dabei ging sie folgerichtig davon
aus, dass sich die Konzentration und Selbstentfaltung des Kindes in einer
didaktisch vorbereiteten Umgebung vollzieht. [2] Demnach sei es die Auf-
gabe der Erwachsenen, dem Kind gesellschaftliche Umgangsformen, den
Sinn für Ordnung und das Bedürfnis nach Körperhygiene zu vermitteln, es
in der Selbstkontrolle seiner Bewegungen zu schulen und ihm ebenso eine
umfassende Ausbildung aller Sinne zuteilwerden zu lassen. [3]

In unseren Tagen tragen zur inneren Ausgestaltung der frühpädagogischen
Einrichtungen Verbände, Stiftungen und Genossenschaften sowie die Innere
Mission und die Caritas bei. Die katholischen Träger schließen sich unter der
Dachorganisation des DCV (Deutschen Caritasverbandes) in Fachverbände
zusammen und nehmen Einfluss auf die Weiterentwicklung des Kindergarten-
wesens und die Regelung der Trägerschaft nach dem Subsidaritätsprinzip. In
der Anfangszeit des Kindergartens war eine religiöse Erziehung in die pädago-
gische Arbeit integriert. Ordensschwestern gaben dem katholischen Kindergar-
ten den Charakter des „Gemeinde-Kindergartens“, der sich auch in der national-
sozialistischen Zeit in seiner Eigenständigkeit nicht gänzlich verliert. In der zwei-
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewinnen bildungspolitische Interessen Einfluss
auf die vorschulische Erziehung. So bestimmen nun eine stärkere inhaltliche Aus-
richtung, das Funktionstraining und die sozial-emotionale Erziehung das Bildungs-
angebot; die frühkindlichen Lernmöglichkeiten sollen ausgeschöpft und umweltbe-
dingte Benachteiligungen ausgeglichen werden. Die religiöse Erziehung ist jetzt
pragmatisch ausgerichtet. Katechetisch-kerygmatische Modelle werden von an-
thropologisch-hermeneutischen Ansätzen mit stärkerer Beachtung des Kindes
und seiner Erfahrungen abgelöst, diese wiederum von gemeindepädagogischen
Ansätzen mit den dazugehörigen Förderprogrammen.

Dann Ende der Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts führt die gesellschaftliche
Entwicklung zu einer Umorientierung. An die Stelle der bildungspolitischen Per-
spektive tritt die sozialpolitische. Der bedarfsgerechte Kindergarten soll den Be-
dürfnissen der Eltern gerecht werden und auf lebensweltliche Erfahrungen der
Kinder ausgerichtet sein. In der Debatte um das „Profil“ des kirchlichen Kinder-
gartens wird das Verhältnis von pastoral- und sozialpädagogischer Ausrichtung
diskutiert: der diakonische Dienst der Kirche in den sozialpädagogischen Einrich-
tungen soll auf die jeweiligen sozialen Erfordernisse abgestimmt sein und gleich-
zeitig die pädagogische Förderung aller Kinder gewährleisten, die im kirchlichen
Kindergarten den Auftrag zu christlicher Erziehung mit der Orientierung an dem
christlichen Welt- und Menschenverständnis einschließt. [4]            

Mit dem Einzug der Missionsschwestern vom kostbaren Blut -cps- [5] in das
Schwesternhaus in der Donatusstraße im Jahre 1919 bekam Roden gleich-
zeitig auch einen Kindergarten, der zunächst im Gebäude der alten Mädchen-
schule in der Schulstraße untergebracht war. Nach der 1. Rückgliederung des
Saargebietes im Jahre 1935 zur Zeit des Nationalsozialismus musste der kirch-
liche Kindergarten umziehen, wo sich heute das Pfadfinderheim befindet. 1957
wurde ein Neubau im rückwärtigen Bereich des Klostergartens eingeweiht. In-
folge der Schließung des Klosters aufgrund des Nachwuchsmangels Anfang
der Siebziger Jahre (Die Schwestern zogen in das heutige Caritas Senioren
Haus Bous) hatten zeitweise Schwestern aus Pachten ausgeholfen. Im Laufe
der Zeit hatte man sich zu einer Kindertagesstätte entwickelt, die unter der Be-
zeichnung „Arche Noah“ auftrat. Mit der Fertigstellung des modernen Kita-Kom-
plexes in der in den Sechziger Jahren neu gebauten Pfarrkirche Christkönig am
Bahnhof geht in Roden eine fast 100-jährige Kindergartentradition in der Pfarrei
Maria Himmelfahrt zu Ende.     

ANMERKUNGEN
[1] N. L. von Zinzendorf, Materialien und Dokumente, Reihe 1:
     Quellen und Darstellungen zur Geschichte der böhmischen
     Brüder-Unität, Ergänzungsband I: Deutsche Katechismen
     der Böhmischen Brüder, Georg Olms Verlag, Hildesheim
     – New York 1982, die Seiten 336/37.    
[2] DER BROCKHAUS VON A BIS Z, Ausgabe in drei Bänden,
     Band 2, Sonderdruck bei WELTBILD, Augsburg 2000, die
     Seite 428.   
[3] Die große Chronik-Weltgeschichte, Band 14, Wissen Media
     Verlag, Gütersloh/München 2008, Seite 316.
[4] Lexikon der Pastoral (Lexikon für Theologie und Kirche kom-
     pakt), Band 1 (A-Ki), Verlag Herder, Freiburg (Breisgau) 2002,
     Seiten 853-855.
[5] Die genannten Missionsschwestern vom kostbaren Blut -cps-
     gehen auf eine Gründung des Trappisten-Abtes Franz Pfanner
     (1825-1909) zurück, der bis 1892 im Ort Mariannhill in Natal im
     südlichen Afrika lebte und wirkte.