DIE APOKALYPTISCHEN VORSTELLUNGEN DER JEHOVAS ZEUGEN

AUTOR: Josef Theobald

In der zahlreichen Literatur der Jehovas Zeugen ist zu lesen, dass
im symbolischen Jahre 1914 nach dem Ende der Zeiten der Heiden
Jesus Christus zum König auf dem himmlischen Berg Zion inthroni-
siert worden sei und nach dem Frühjahr 1918 mit denen regieren
würde, die als 144.000 treue Nachfolger vereint auferweckt worden
seien, nachdem sie ihren irdischen Verlauf durch einen Opfertod
beendet hätten. Diese seien nunmehr geistige Wesen und nicht
Menschen aus Fleisch und Blut. [1]

Hier gibt es eine deutliche Parallele zum gelehrten „Heiligtum“ bei
den Siebenten-Tags-Adventisten, nach der Jesus Christus im Jahre
1844 in das Allerheiligste des himmlischen Heiligtums eingegangen
sei, um das Schlusswerk der Versöhnung, die Vorbereitung auf sein
Kommen, zu vollziehen. Damit verbunden war das Untersuchungs-
gericht. [2]

Derartige Dinge kann man immer behaupten, indem man Parallelen
zum Tempeldienst herstellt. Ob diese Praktiken allerdings auf die
Endzeit zu übertragen sind, bleibt fraglich. Denn wer will hier bei
der fehlenden Quellenlage das Gegenteil beweisen. Doch sollte
man wissen, dass die frühen Christen grundsätzlich ein reales
Kommen Jesu Christi erwarteten (1. Korinther 15,23-26). Das
vergeistigte Kommen stellt hierbei doch stets eine Flucht in das
Irreale dar. Trotzdem gibt es immer wieder eine Anzahl Gläubiger,
die an so etwas glaubt.

So schrieb Joseph Franklin Rutherford (1869-1942) im Wacht-Turm
vom 15. Januar 1923 auf der Seite 27: „Somit sehen wir, dass Gott
beabsichtigt, in dieser Zeit großer Not, ein Volk auf der Erde zu ha-
ben, das klar gekennzeichnet ist als getrennt und abgesondert von
allen anderen, als seine Zeugen hervortretend und furchtlos die Bot-
schaft hinausrufend: 'Das Reich der Himmel ist nahe gekommen.'“
Dabei fühlt man sich seit 1931 im Vokabular der Zeugen als eine
„große Volksmenge“ (Lutherübersetzung: „große Schar“), die den
abnehmenden Überrest der 144.000, der sich noch auf Erden be-
findet, unterstützt. Diese setzen sich folgerichtig aus Gott hingege-
benen gottesfürchtigen Menschen, den sogenannten Königreichs-
verkündigern, zusammen, die aus allen Nationen kommen. [3]

Um den entsprechenden Hintergrund zu verstehen, muss man das
12. Kapitel der Offenbarung kennen. Die adventistischen Gruppen
legen dieses Kapitel so aus, dass sie als „die wahre Kirche“ vom
Drachen (von Satan) verfolgt würden, indem dieser mit der Nach-
kommenschaft der einst gebärenden Frau Krieg führe. Nur in der
Wüste hätte sich diese Kirche entwickeln können. Lediglich diese
halte die Gebote Gottes und bewahre das Zeugnis Christi.

Nach katholischer Auffassung vermochte der Satan dem nunmehr
geborenen Sprössling des Weibes, d. h. dem Volk Gottes, nichts
anzuhaben, sondern er ist wohlgeborgen beim Vater. Auch das
Weib ist in Gottes Hut. Ihre übrigen Sprösslinge, „die die Gebote
Gottes halten“, werden nun freilich die doppelte Wut des Drachen
zu verspüren haben; allein der Ausgang der Ereignisse im und
am Himmel verbürgt auch ihnen einen ähnlichen Schlusserfolg.
[4]

Nach evangelischer Lehre ist auch für Satan unüberwindlich die
Gemeinde Jesu; denn seine Waffen verwunden sie nicht. Die Ur-
sache, weshalb die Verfolgung sie trifft, ist genau dieselbe wie die,
weshalb sie in Gottes Gnade steht, der Gehorsam gegen das gött-
liche Gebot, der sie unfähig zum Sündigen macht, und der Glaube
an Jesus, der sein Wort nicht vergessen und verwerfen kann. [5]

Dies sollte vorerst mal alles sein. Dabei habe ich versucht, deutlich
zu veranschaulichen, welche Irrwege es in der religiösen Praxis bei
den prophetischen oder apokalyptischen Anschauungen geben kann.

ANMERKUNGEN
[1] Babylon die Große ist gefallen! (Gottes Königreich herrscht!),
     Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft, Wiesbaden 1965,
     Seiten 453 – 455.   
[2] Für die Gemeinde geschrieben (Ausgewählte Botschaften von
     Ellen G. White), Band 1, Advent-Verlag, Hamburg 1991, Seite
     132.
[3] wie [1]. jedoch die Seiten 460/61.
[4] Bonner Neues Testament, im Verlag von Peter Hanstein, Bonn
     1921, Band 3, Teil 3, Seite 248.
[5] Adolf Schlatter, Die Briefe und die Offenbarung des Johannes,
     Calwer Verlag, Stuttgart 1950, Seite 244.