DER TIERSCHUTZ AUS JÜDISCHER SICHT

AUTOR: Josef Theobald

Nach der Bibel (1. Mose 9,3) wurde den Menschen der Genuss des
Fleisches von Tieren erst nach der Sintflut gestattet. Die späteren jü-
dischen Lehrer begründen dies damit, dass das Menschengeschlecht
schwächer und kurzlebiger geworden sei und eines vorher unbekannten
Stärkungsmittels, nämlich des Fleischgenusses, bedurfte. Wenn es dem
Menschen erlaubt ist, das Tier zu töten, so muss damit ein sittlicher Zweck
vorhanden sein. Weil das menschliche Leben dem tierischen gegenüber
das höhere ist, hat der Mensch, um sich zu nähren oder vor Schaden zu
bewahren, ein Recht, ein Tier zu töten. Denn wenn auch die Thora die
Schlachtung des Tieres zum Zwecke der menschlichen Nahrung gestattet,
so verbietet sie doch aufs strengste jede unnütze Tierquälerei und macht
es den Menschen zur Pflicht, dem leidenden Tier Hilfe zu gewähren.

Demgemäß bestimmt der Talmud, dass aus Rücksicht auf das Tier, dem
Schmerzen erspart werden sollen, manche Gebote, z. B. die rabbinischen
Sabbatgebote, zurücktreten müssen. So soll man, trotz der damit verbun-
denen Verletzungen von Sabbatvorschriften, dem in die Grube gefallenen
Tiere Hilfe leisten.

Ein höherer Grad des Tierschutzes ist die Tierfürsorge. Schon eine biblische
Bestimmung verbietet, dem Ochsen, der da drischt, das Maul zu verbinden
(5. Mose 25,4), und im Talmud wird sogar gelehrt, dass man sich nicht zu
Tische setzen solle, ehe man dem Tiere sein Futter gegeben.

Das Leben des Tieres ist somit dem Menschen in die Hand gegeben, sein
Recht ist aber kein unbedingtes; er darf beim Töten des Tieres nicht un-
menschlich verfahren. Mit einem Worte mag hier auf die vom Judentum
geforderte Art der Tierschlachtung hingewiesen werden, die auf eine
Weise erfolgen muss, dass bei dem Tiere sofort Bewusst- und damit
Empfindungslosigkeit eintritt. [1]

Der Hintergrund dieser jüdischen Auslegung liegt in der Heiligkeit des
Blutes (3. Mose 17, 11). Denn man geht von dem Standpunkt aus, dass
das Lebenselement (nefesch, in älteren Übersetzungen mit „Seele“ wie-
dergegeben) im Blut liegt, oder höchst wahrscheinlich das Blut ist.

Deshalb verlangt das orthodoxe Gesetz, dass das Fleisch, bevor es ge-
kocht wird, eine halbe Stunde in Wasser eingeweicht, danach gesalzen,
eine Stunde lang stehen gelassen und dann erneut gewaschen werden
muss, damit den Muskeln alles Blut entzogen wird (Vers 15). [2]  

ANMERKUNGEN
[1] DIE LEHREN DES JUDENTUMS NACH DEN QUELLEN, Band I,
     Nachdruck bei KNESEBECK, München 1999, Seiten 417/18.   
[2] DIE TORA in jüdischer Auslegung, Band III (Wajikra, Levitikus), 2.
     Auflage der Sonderausgabe, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
     2011, Seite 168.