DER DEUTSCHE BERGARBEITERSTREIK VOM MAI 1889

AUTOR: Josef Theobald

Die erste deutsche Streikbewegung fand am 4. Mai 1889 im Gelsenkirchener
Bergwerks- und Industriegebiet statt. Dieser Bergbaubezirk gehörte zu den
nördlichen westfälischen Kohlenfeldern, zu einem Bezirk, in dem jährlich 45
Millionen Tonnen Kohle gefördert wurden und der noch nicht halb entwickelt
war. Hier wurde die Kohle aus einer Tiefe von 500 Yard (ca. 460 m) gefördert.
Diese Bergarbeiter, bis zu diesem Zeitpunkt gute Untertanen, patriotisch, ge-
horsam und religiös, die die besten Soldaten für die Infanterie des 7. Armee-
korps stellten, sind jetzt durch die neue kapitalistische Unterdrückung vollkom-
men aufgerüttelt worden. Nachdem die Zechen, meistens im Besitz von Aktien-
gesellschaften, enorme Dividenden auszahlten, wurden dagegen die Reallöhne
der Arbeiter ständig weiter herabgedrückt. So wurde der nominelle wöchentliche
Lohn zwar aufrechterhalten, in einigen Fällen sogar scheinbar erhöht, indem man
die Arbeiter zwang, in erheblicher Überzeit zu arbeiten. Denn anstatt in einer Acht-
stundenschicht arbeiteten diese 12 – 16 Stunden. Dadurch ergaben sich faktisch
wöchentlich 9 – 12 Schichten.

Der Reallohnverlust ergab sich aus dem Betrug durch das meist unterbliebene
Anschreiben der tatsächlich pro Tag geförderten Kohlenmenge. Ganze Loren-
ladungen wurden nicht angeschrieben mit der Begründung, es handele sich
um schlechte Kohle oder die Lore sei nicht richtig gefüllt. Denn seit dem ver-
gangenen Winter hatten die Arbeiter mehrmals erklärt, dass sie nun streiken
würden, wenn keine Änderung eintrete. Aber ohne Erfolg. Schließlich streikten
sie, nachdem sie ihre Absicht bekannt gemacht hatten. Den Zechenbesitzern
wurde vorgeworfen zu lügen, wenn sie das Gegenteil behaupteten.

Durch die Intervention der liberalen Opposition, die im Parlament einen Sitz
nach dem anderen zugunsten der Sozialdemokratie verloren hatte, war ein
Kompromiss zustande gekommen und die Arbeit wurde dann wieder aufge-
nommen. Doch im selben Augenblick, als die Arbeiter wieder in den Gruben
waren, brachen die Zechenbesitzer erneut ihr Versprechen, indem einige der
Streikführer entlassen wurden, obwohl das getroffene Übereinkommen allen
ihre alten Arbeitsplätze sicherte. Außerdem weigerten sie sich, sich wegen
der Gestaltung der Arbeitszeit zu verständigen. Der Streik drohte somit er-
neut auszubrechen.

Zu den herausragenden Streikforderungen zählten die Erhöhung des Arbeits-
lohnes, der Achtstundentag und die Anerkennung der Arbeitsausschüsse.

Dieser begonnene Bergarbeiterstreik weitete sich aus. So wurde auch in den
sächsischen Kohlenfeldern mit 10.000 Kumpeln und in den zwei schlesischen
Kohlenfeldern mit 20.000 Kumpeln, die noch weiter östlich lagen, gestreikt. In
Deutschland streikten somit in den letzten drei Wochen mindestens 120.000
Kumpel.

Vom 12. – 16. Mai wurde auch im damaligen Saargebiet zunächst in einzelnen
Bergwerken gestreikt. Am 23. Mai waren es schon bereits 12.000 Streikende.

QUELLE
Marx – Engels, Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung,
Band 3: Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, Dietz Verlag, Berlin-Ost
1980, die Seiten 693/94 + 968/69.