AUTOR: Josef Theobald
DIE SITUATION IN DER DDR
 Das einheitliche sozialistische Bildungssystem der DDR orientierte sich in
 erster Linie an den wirtschaftlichen sowie politischen Notwendigkeiten des
 sozialistischen Staates. In zweiter Linie nahm es Rücksicht auf die individu-
 ellen Interessen, Neigungen und Begabungen.
 Eingebunden war die Berufsausbildung in die zehnklassige allgemeinbildende
 polytechnische Oberschule, die im Anschluss absolviert werden konnte. Beim
 Besuch der Oberstufe konnte gleichzeitig eine Berufsausbildung durchlaufen
 werden, die mit der allgemeinen Hochschulreife verbunden war. Ab 1984 ist
 die Dauer der Oberstufenbildung auf zwei Jahre begrenzt worden.
 Allerdings sind die Anteile von Betrieb und Berufsschule mit unserem System
 nicht vergleichbar. Hier überwiegt hauptsächlich die Verschulung.
 Die Berufsausbildung übernahmen Lehrfacharbeiter und Lehrmeister. Nach vor-
 liegenden Erkenntnissen wurde hier mehr Wert auf die persönliche Eignung des
 Ausbilders gelegt als bei uns. Die Lernaufträge wurden in Form von Hausarbeiten
 realisiert. Der polytechnische Vorbau der Klassen 7 – 10 in den Oberschulen war
 geprägt von einer intensiven berufsvorbereitenden Grundausbildung in mathema-
 tischen, naturwissenschaftlichen und technischen Problembereichen sowie durch
 die Einführung in die Grundlagen des sozialistischen Wirtschaftssystems. [1]
 Die Grundlage des Bildungssystems in der DDR lag also in den polytechnischen
 Vorgaben und nicht, wie im Westen Deutschlands, in einer grundlegenden Allge-
 meinbildung verbunden mit einer Verwissenschaftlichung mit dem Ziel eines an-
 schließenden Studiums an einer Universität oder anderen Hochschule.
 In letzter Zeit gibt es in Deutschland erneut Bestrebungen, mit dem G9 wieder
 die Verhältnisse zu schaffen, die vor der G8-Reform bestanden haben. Nach
 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, glaubten plötzlich die Bildungspolitiker
 in Deutschland, das Abitur nach 12 Jahren, wie es in der alten DDR bestanden
 hat, einfach auf Westdeutschland übertragen zu können. Die bisherige Praxis
 zeigte allerdings, dass einige Schüler und Schülerinnen in der Regel danach
 nicht automatisch reif für eine Berufsausbildung oder ein Studium sind. Des-
 halb gibt es wieder die Forderung nach einer Rückkehr zu G9.
DIE THEORETISCHEN GRUNDLAGEN
 Die Grundlagen für die polytechnische Schulbildung finden sich im zaristischen
 Russland. Im Umfeld der russischen Volkstümler, etwa vergleichbar mit unseren
 Sozialdemokraten, hatte ein Herr Jushakow, ständiger Mitarbeiter des „Russkoje
 Bogatstwo“, einen ersten Plan zu einer allgemeinen obligatorischen Mittelschul-
 bildung vorgelegt. Bei den von ihm favorisierten Gymnasialformen stellte er sich
 produktive Vereinigungen vor, die den agrarischen und den moralischen Betrieb
 miteinander verbanden. Der damalige Hintergrund war der, dass sich die Schüler
 selbst den Unterhalt für diese Einrichtungen, vor allem in den Sommermonaten,
 verdienten. Deshalb wurde auch hier von einer zehnklassigen Gymnasialfarm
 gesprochen.
 Nach der Oktoberrevolution in Russland findet sich unter Punkt 9 des Entwurfs
 des Programms der KPR (B) erstmals die Forderung nach einer Verwirklichung
 der unentgeltlichen und obligatorischen allgemeinen und polytechnischen Bildung
 für alle Kinder beiderlei Geschlechts bis zum 16. Lebensjahr, die eine Verbindung
 zwischen Unterricht und gesellschaftlich produktiver Arbeit der Kinder herstellt.
 Im Jahre 1920 gab W. I. Lenin erstmals einen Überblick, wie der polytechnische
 Unterricht aussehen soll. Wegen der äußerst schwierigen Lage der jungen Sow-
 jetunion sah er die Notwendigkeit einer Verschmelzung des polytechnischen Un-
 terrichts mit den technischen Berufsschulen. Hier seien jedoch die allgemeinbil-
 denden Fächer auszubauen mit Kenntnissen der allgemeinen Geschichte, der
 Geschichte der Revolutionen, der Oktoberrevolution, der Geografie usw. Zum
 entsprechenden Unterricht gehöre der Besuch eines Elektrizitätswerkes mit ei-
 ner Reihe von Vorlesungen mit einschlägigen Experimenten in diesem Werk,
 verbunden mit einer Reihe praktischer Arbeiten. In den Schulen sollten außer-
 dem kleine Museen mit Modellen von Dampfschiffen und Eisenbahnzügen ein-
 gerichtet werden. Für einen Kommunisten notwendig hält er das Grundwissen
 über Elektrizität, über die Anwendung der Elektrizität im Maschinenbau und in
 der chemischen Industrie.
 In seiner Schrift „Die Aufgaben der Jugendverbände“ setzte er sich allerdings
 für eine Straffung des Fächerangebots an den Schulen ein. In Ablehnung der
 alten Schule sah er doch die Notwendigkeit menschlicher Kenntnisse, die aber
 vom Standpunkt der modernen Bildung unerlässlich seien.
 Im Jahre 1921 wurden erstmals konkrete Altersangaben genannt. So wurde von
 einer polytechnischen Bildung bis zum 17. Lebensjahr gesprochen mit dem An-
 schluss einer breiten Entwicklung der beruflichen Ausbildung vom 17. Lebens-
 jahr an im Zusammenhang mit den allgemeinen polytechnischen Kenntnissen.
 [2]   
DIE REZEPTION IN DEN ANDEREN SOZIALISTISCHEN LÄNDERN
 Die polytechnische Bildung ist nach dem II. Weltkrieg in Osteuropa und -asien
 weitgehend übernommen worden und wurde lediglich den spezifischen Eigen-
 heiten der jeweiligen Länder angepasst.
 Nach 1956 kam es aber im Zusammenhang mit der Entstalinisierung zu einer
 kritischen Auseinandersetzung mit dem Sowjetsystem. Zwar wurde z. B. in der
 Volksrepublik Albanien eingeräumt, dass die Sowjetschule eine wertvolle Hilfe
 für die albanische Volksbildung gewesen war. Doch stellte sich später heraus,
 dass sie aber auch viele Züge der bürgerlichen Pädagogik bewahrt hat, infolge-
 dessen auch ihre schlechten Seiten. [3]
-methoden unter den damaligen historischen Bedingungen doch ihre durchaus
positive Seite gehabt, zugleich allerdings auch ihre negative, z. B. durch schiere
Nachahmung ohne Beziehung zur chinesischen Wirklichkeit, Trennung der Natur-
wissenschaften vom Ingenieurwesen, zu kleine und starre Aufteilung von Fach-
richtungen und Streichung des Englischen im Lehrplan. [4]
ANMERKUNGEN
Verlag Girardet, Essen 1982, die Seiten 51 – 55.
Berlin-Ost 1961, Seiten 13, 14, 16, 282, 326 – 328, 351/52 + 358.
Tirana (Albanien) 1971, Seite 687.
chige Literatur, Beijing (China) 1985, die Seiten 16 + 17.

