DER ZUSAMMENHANG VON POLITIK UND KRIEG

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

Mit dem Angriff Japans an der Brücke Lugouqiao (im Westen
als Marco-Polo-Brücke bezeichnet), südwestlich von Beijing,
am 7. Juli 1937 begann die umfassende Aggression Japans
gegen China und der dadurch ausgelöste Widerstandskrieg.
[1]

In der Guomindang hatten die Militärs einen gewaltigen Ein-
fluss. So waren 1933 von den 1,2 Millionen Mitgliedern der
Partei allein 785.000 Mitglieder, also 62 %, Angehörige der
Streitkräfte. Dies spiegelte sich in den Militärausgaben wie-
der, die bis 1937 am Gesamtbudget einen Anteil von 41 %
hatten. [2] Auch nach Gründung der Volksrepublik China
blieb der Einfluss der Volksbefreiungsarmee (VBA) nicht
unbedeutend. Nicht wenige im September 1955 ernannte
Marschälle hatten politischen Einfluss bis in die Siebziger
Jahre. [3]   

Bei diesem Hintergrund sind folgende Ausführungen ent-
sprechend zu verstehen.

BEITRAG
Im broschierten 2. Band der Ausgewählten Werke Mao
Zedongs ist in der Fassung vom Oktober 1968 auf der
Seite 261 dieser Satz zu lesen: „Jeder Kommunist muss
diese Wahrheit begreifen: 'Die politische Macht kommt
aus den Gewehrläufen.'“ Diese Übersetzung entspricht
weitgehend der englischen Fassung, bei der es heißt:
„Every Communist must grasp the truth: 'Political Power
grows out of the barrel of gun.'“

Der englische Ausdruck „grow out of“ ist im Sinne von
„entstehen aus, erwachsen aus“ zu verstehen (Collins
Globalwörterbuch ENGLISCH, Band 1, Seite 557). Auch
verwendet der englische Text den Begriff „barrel of gun“
(gun barrel) nicht im Plural, wie die deutsche Fassung,
sondern im Singular.

Die alte deutsche Fassung, eine Übertragung aus dem
Russischen von Leon Nebenzahl aus dem Jahre 1956,  
verwendet die Worte: „Jeder Kommunist muss sich die
Wahrheit einprägen, dass 'das Gewehr die Macht ge-
biert.'“ (Seite 280, Ausgewählte Schriften, Band 2)

Während der Kulturrevolution erschien in China auch
eine Taschenbuchausgabe mit rotem Plastikeinband
mit „sechs“ militärischen Schriften und einem Vorwort
von Lin Biao (1907-1971), der trotz seiner Funktion als
offizieller Nachfolger Maos in Ungnade fiel. Daher auch
der Hinweis auf die Seite 451.

Mit den Jahren ist die neue Fassung aber in aller Munde.
Schon Lenin stellte 1916 in seinem „Militärprogramm der
proletarischen Revolution“ fest: „Es wäre grundfalsch, zu
vergessen, dass jeder Krieg nur die Fortsetzung der Politik
mit andern Mitteln ist;…“ (Werke in zwei Bänden, Band I,
Seite 879) Bezogen auf den Krieg in China, hatte Mao ja
diesen Satz präzisiert. Dieser sei sowohl auf den Wider-
standskampf gegen die japanische Aggression als auch
auf den Bürgerkrieg in China anwendbar. Der Krieg ist
somit immer das letzte Mittel zur Durchsetzung beste-
hender politischer Ziele. In der Definition des Carl von
Clausewitz (1780-1831) hat dabei die Politik das allei-
nige Kommando.

NACHTRAG

Vor kurzem führte ich das berühmte Zitat an: „Jeder Kommunist
muss diese Wahrheit begreifen: 'Die politische Macht kommt aus
den Gewehrläufen.'“ Dabei verwies ich auf Carl von Clausewitz,
der den Satz prägte: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der
Politik mit andern Mitteln.“ Lenin entnahm diesen aus dessen
Werk „Vom Kriege“, Erstes Buch. Er wies aber darauf hin, dass
mit „andern Mitteln“ gewaltsame Mittel gemeint seien. Dabei sei
auf die Schrift mit dem Titel „Sozialismus und Krieg“ verwiesen,
die 1974 erstmals in China unter dem Titel „Lenin über Krieg
und Frieden – Drei Artikel“ in Deutsch veröffentlicht wurde.
Auf der Seite 12 ist obiger Satz abgedruckt mit dem Hinweis
auf seine ursprüngliche Quelle.

Außerdem stellt Lenin fest: „Die Marxisten haben diesen Satz
mit Recht stets als theoretische Grundlage ihrer Auffassungen
von der Bedeutung eines jeden konkreten Krieges betrachtet.“   
 
Es gab aber in der Vergangenheit nicht wenige Stimmen, die
diesen Zusammenhang stets in Zweifel ziehen wollten. In der
Schrift „Über den langwierigen Krieg“ zitiert Mao obigen Satz
selbst. Dieser ist sowohl in der neuen Fassung vom Oktober
1968 als auch in der DDR-Fassung aus dem Jahre 1956 zu
finden. Letztere Fassung entspricht der russischen Ausgabe
Anfang der Fünfziger Jahre. [4]

Es wird hier erneut zu sagen sein, dass in den Siebziger
Jahren, laut offiziellem Verzeichnis aus dem Jahre 1972,
die einzelnen Schriften des vierbändigen Werkes Maos
auch in Einzelausgaben zu beziehen waren. Deshalb ist
um Verständnis dafür zu bitten, wenn hier und da einmal
auf diese zurückgegriffen wird.

Nach dem bewaffneten Aufstand in Nanchang, Provinz
Jiangxi, stießen im Januar 1929 Mao Zedong und Zhu
De (1886-1976) mit den von ihnen befehligten Truppen
zusammen und gründeten die revolutionären Stützpunkt-
gebiete Süd-Jiangxi und West-Fujian. Nach und nach ist
die Rote Armee auf 62.000 Mann, in 13 Korps unterteilt,
angewachsen. [5] Zhu war ein Absolvent der Militäraka-
demie von Yunnan in Kumming gewesen. Bereits mit 31
stand er im Generalsrang. Man darf mit Recht davon aus-
gehen, dass von dieser Seite ein wohl nicht unbedeuten-
der Einfluss auf das strategische und taktische Denken
Maos ausgeübt wurde. Außerdem war Zhu in den Zwan-
ziger Jahren in Berlin ansässig und hatte dort Umgang
mit Zhou Enlai (1898-1976). In Moskau war es ihm auf
Empfehlung Zhous möglich, an einer speziell für Asiaten
eingerichteten Hochschule die klassischen Werke des
Marxismus-Leninismus zu studieren, nachdem dieser
in die KP Chinas aufgenommen wurde. [6]

In den Jahren nach Maos Tod wurde stets die Meinung
vertreten, die Werke Maos seien als ein kollektives Werk
unter der Bezeichnung Mao-Zedong-Ideen zu verstehen,
an dessen Verwirklichung das gesamte ZK der Partei mit-
gewirkt habe. Man könne daher die von Mao geäußerten
und publizierten Gedanken nicht ihm allein zuordnen. [7]

Die genannte Schrift „Über den langwierigen Krieg“ ist eben-
falls im Band II der Ausgewählten Werke Maos von der Seite
127 an zu studieren.

ANMERKUNGEN
[1] CHINESISCHE GESCHICHTE, neu bearbeitet von Dai
     Shifeng, Verlag für fremdsprachige Literatur in Beijing
     (China) 2003, Seite 206.
[2] Umwälzung einer Gesellschaft – Zur Sozialgeschichte
     der chinesischen Revolution (1911-1949), Richard Lo-
     renz (Herausgeber), Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1977,
     Seite 231/32.
[3] CHRONIK DER VOLKSREPUBLIK CHINA (1949-1984),
     im Verlag für fremdsprachige Literatur, Beijing (China)
     1986, die Seiten 13 + 53.
[4] Mao Zedong, Ausgewählte militärische Schriften, Verlag
     für fremdsprachige Literatur, Beijing (China) 1969, Seite
     274.
[5] wie [1], jedoch die Seiten 199 + 200.
[6] Josef Guter, LEXIKON DER GESCHICHTE CHINAS,
     Matrix Verlag, Wiesbaden 2004, Seite 621.
[7] BEIJING RUNDSCHAU, Nr. 19 vom 12. Mai 1981,
     Seite 28.