AUTOR: Josef Theobald
VORWORT
Die Zeit nach der Französischen Revolution von 1789 war geprägt vor
allem von nationalen Bewegungen. Diese Epoche erstreckte sich noch
bis in das Jahr 1871, nachdem sich auch neue Nationalstaaten heraus-
bildeten.
Vor allem die Heilig-Rock-Wallfahrt vom August bis Oktober 1844 sorgte
in Deutschland auf katholischer Seite für gewaltige Umwälzungen. Zu je-
nem Anlass wallfahrteten mehr als 1 Million Katholiken nach Trier. Infolge
dieses Übermaßes an mittelalterlicher Dummgläubigkeit, wie es z. B. der
Rabbinergelehrte Heinrich Graetz (1817-1891) in seinem Geschichtswerk
ausdrückte, entstanden auch tiefgehende antikatholische Bewegungen.
So bildete sich im Januar 1845 eine deutschkatholische Kirche heraus.
Auch im Schoße des Protestantismus bildeten sich eigene Gemeinden,
wie die Lichtfreunde. [1]
BEITRAG
Auch bei Wallfahrten zu wundertätigen Bildern und den durch Mutter-
gotteserscheinungen geweihten Orten, so wie bei Aufstellung von Re-
liquien kamen noch immer zahlreiche Wunderheilungen vor. So bei der
Ausstellung des “ungenähten heiligen Rockes“ in Trier im Jahre 1844.
Das junge Fräulein Droste von Vischering, Großnichte des Kölner Erz-
bischofs, die an einer skrofulösen Kniegeschwulst (oft bei tuberkulösen
Kindern) litt, rief beim heiß ersehnten Anblick des vermeintlich heiligen
Rockes: „Ich kann wieder stehen!“ Nun drängten sich tausende von
Kranken und Gebrechlichen hinzu; aber bloß bei 18 von ihnen (fast
nur weiblichen Geschlechts) bewährte sich angeblich die Wunderkraft
des Rockes, und auch bei diesen, Fräulein Droste voran, erwies sich
die vermeintliche Wunderheilung als eine momentane, durch die see-
lisch weibliche Spannung und Aufregung bewirkte Illusion; was freilich
der Überzeugung von der Wunderkraft des Rockes keinen Abbruch tat,
ebenso wenig wie bei dem Glauben an die Echtheit desselben in seiner
Absurdität darstellende Schrift von J. Gildemeister und Herrn von Sybel,
Der heilige Rock zu Trier und die 20 andern heiligen ungenähten Röcke,
Düsseldorf 1844 und: Die Advokaten des Trierer Rockes, 3 Hefte. – Bei
der damaligen Wiedereinschließung des heiligen Rockes war es dem al-
tertumskundigen Trierischen Domherrn von Wilmowsky gestattet, 15 Mi-
nuten lang denselben einer archäologischen Prüfung und Durchzeich-
nung der eingewebten Muster zu unterziehen, wobei er die überraschen-
de Entdeckung machte, dass der vermeintlich ungenähte Rock nur eine
aus kostbarem byzantinischem Seidenstoff bestehende Umhüllung eines
1 ½ Fuß breiten, 1 Fuß hohen Stückes feinen grauen Wollenstoffes sei,
welches letztere er als ein Partikel der eigentlichen und echten Reliquie
anzusehen geneigt war. Aber erst 32 Jahre später fühlte er sich, um „der
letzten Pflicht gegen die Wahrheit“ zu genügen, gedrungen, seine Ent-
deckung zu veröffentlichen. Trotz des Sturmes der Entrüstung, der sich
schon im Jahre 1844 nicht bloß bei Protestanten, sondern auch bei zahl-
reichen denkenden Katholiken erhoben hatte, hielt der Bischof Korum es
am 20. August 1891 für zeitgemäß, den heiligen Rock wiederum für 6 Wo-
chen auszustellen, und fast 2 Millionen von Gläubigen wallfahrteten nach
Trier, um vor dieser Reliquie ihr Knie zu beugen; auch unterließ der Bi-
schof im Jahre 1894 nicht, angebliche „Wunder und Gnadenerweise“, die
sich bei der Aufstellung des heiligen Rockes zugetragen haben sollen, der
Mitwelt zu berichten. Er zählt 11 sichere „Wunder“ und 27 „Gnadenerweise“
auf, welche durch Berührung Kranker mit dem „heiligen Rocke“ eingetreten
sein sollen. – Erwägt man, dass bei der Ausstellung der Reliquie ca. 10.000
bis 20.000 Kranke sie berührt haben dürften, so sind die 38 „Heilungen“ ein
geringer Prozentsatz. Fast alle diese „Heilungen“ betreffen ferner irgendwie
Gelähmte, unter diesen neunzehn ledige ältere weibliche Personen, neun
Kinder und 14 Jahren, sieben Männer und nur drei Ehefrauen; ihre physi-
sche Veränderung ist sehr leicht auf natürlichem Wege erklärbar, nämlich
durch „Selbstsuggestion“. Der einzige schwer zu erklärende Fall ist die Hei-
lung eines Lupus-Kranken (Hauttuberkulose); indes kann Lupus, ebenso wie
Tuberkulose, gelegentlich zum Stillstand kommen und heilen, wie ärztlicher-
seits geurteilt wird; aber niemand kann wissen, wie lange eine solche „Hei-
lung“ anhält. (Verwendete Quellen: u. a. J. R. von Wilmowsky, Der heilige
Rock, eine archäologische Prüfung, Trier 1876 / Felix Korum, Wunder und
göttliche Gnadenerweise bei der Ausstellung des heiligen Rockes in Trier
im Jahre 1891. Aktenmäßig dargestellt, Trier 1894. / Als eine Kritik dieser
Schrift vgl. Fr. Jaskowski, Der Trierer Rock und seine Patienten vom Jahre
1891, Saarbrücken 1894) [2]
In der Hochzeit der Reliquienverehrung war man bestrebt, diese auch zu
erwerben. Hier handelte es sich um Heiligenleiber selbst bzw. Teile von
ihnen oder Gegenstände, die mit den Heiligen im Leben oder nach dem
Tode in Berührung gekommen sind. Ihre Erhebung (Elevatio), ihre Über-
tragung an eine neue Kultstätte (Translatio) und Vorzeigung an bestim-
mten Tagen gestalteten sich zu großen Volksfesten. Der Großteil der Re-
liquien kam aus Italien (Rom), Frankreich und vom Orient.
Leider hielt sich die Heiligen- und Reliquienverehrung bei der niedrigen
Kulturstufe der Zeit, doch auch noch im späteren Mittelalter, nicht im-
mer in den richtigen Grenzen. Man legte den Reliquien eine übertriebe-
ne Bedeutung bei, trieb Handel mit ihnen, brachte unechte, gefälschte
und seltsame Reliquien in Umlauf und scheute bei ihrem Erwerb selbst
vor unerlaubten Mitteln, wie Diebstahl oder Raub, nicht zurück. [3]
Im Jahre 1876 war die Tuberkulose innerhalb der Altersgruppe über 30
bis 40 Jahre die überragende Todesursache, die allein 39,4 Prozent aller
Todesfälle verursachte. Es folgten die Lungen- und Brustfellentzündungen
sowie die übrigen Lungenkrankheiten, die zusammen 10,3 Prozent der To-
desfälle ergaben. Demnach gingen in der betrachteten Altersklasse 1876
etwa 50 Prozent aller Todesfälle auf das Konto von Erkrankungen der A-
temwege. [4]
WARUM ERKRANKTEN SO VIELE MENSCHEN IM 19. JAHRHUNDERT
AN TUBERKULOSE?
Bei der Errichtung von Gebäuden wurde nicht auf gute Belüftung und
auf ausreichendes Sonnenlicht geachtet. Die für Menschen bestimmten
Wohnungen standen nicht auf erhöhtem Boden, der gute Wasserabzüge
hatte. Denn durch die trockene Lage gab es keine Gefahr von Krankheiten
durch Feuchtigkeit und schlechte Ausdünstung. [5]
ANMERKUNGEN
Gegenwart, Band 11, Nachdruck bei arani, Berlin 1996, Seiten 534/35.
Heinrich Kurtz, 14. Auflage besorgt von R. Bonwetsch und P. Tschackert,
damals Professoren der Theologie in Göttingen, August Neumanns Verlag
(Fr. Lucas), Leipzig 1906, § 191,2.
telalter, 12., verbesserte Auflage, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn
1948, § 100,3.
denhoeck-Reihe, Göttingen 1981, Seiten 39 + 40.
gabe: "In den Fußspuren des großen Arztes", 2. überarbeitete Auflage,
INTER-EURO PUBLISHING, u. a. München 1990, Seite 203.