AUTOR: Josef Theobald
 Vor einiger Zeit kam im Fernsehkanal ARTE eine zweiteilige Serie über
 den letzten Kaiser von China. Besonders dieses Thema erregt seit An-
 fang der Sechziger Jahre die Gemüter im In- und Ausland. Die tragische
 Rolle als Kindkaiser bis zur Restauration der Monarchie in dem japanisch
 besetzten „Mandschuguo“ bewirkten, dass er als Kriegsgefangener zur
 Umerziehung vorgesehen war und sich nach einer Sonderamnestie als
 vorbildlicher Bürger des neuen China auszeichnete. Nicht zu bestreiten
 sind zwar seine Verbindungen und vielfachen Verstrickungen mit dem
 japanischen Besatzungsregime. Doch muss aber seine eher kindliche
 Art, mit alltäglichen Problemen umzugehen, berücksichtigt werden. Er
 hatte als Kind zwar einen britischen Hauslehrer haben dürfen, aber es
 fehlte ihm jede Erziehung zur Selbständigkeit, wie es einst im britischen
 Königshaus für den legitimen Thronfolger üblich war, und zwar in Form
 einer Internatserziehung.
 In der Autobiographie von Pu Yi ist ersichtlich, dass er zur Guomindang
 unter Tschiang Kai-schek und zu den Kommunisten auf Distanz ging. Er
 hatte lediglich Kontakte zu Semionow, einem Führer weißrussischer Ein-
 heiten, die im Grenzgebiet zur Sowjetunion operierten. Diese genannten
 weißgardistischen Banditen liefen zu den Japanern über und bedrohten
 die Sicherheit der damaligen Sowjetunion. Das war ein entscheidender
 Grund für die Rote Arme, Pu Yi nach dem Einmarsch in die Mandschurei
 festzusetzen.  
 Trotzdem hatte er es geschafft, sich dem chinesischen Volk dienlich zu
 machen. So schrieb Mao Zedong: „Die Elemente der Bourgeoisie und
 die aus der alten Gesellschaft stammende Intelligenz sind in überwie-
 gender Mehrheit patriotisch gesinnt. Sie sind bereit, dem täglich mehr
 aufblühenden sozialistischen Vaterland zu dienen, und sie wissen, dass
 sie sich auf niemand stützen und keiner lichten Zukunft entgegensehen
 können, wenn sie sich vom Sozialismus und von den unter der Führung
 der Kommunistischen Partei stehenden Werktätigen abwenden.“ (Über
 die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke, Seite 61) Schon
 Stalin stellte fest: „Es wäre dumm und unvernünftig, heute beinahe in
 jedem Spezialisten und Ingenieur der alten Schule einen noch nicht
 ertappten Verbrecher und Schädling zu sehen.“ (die Werke, Band 31,
 Seite 65)
 Was den praktischen Umgang mit Kriegsverbrechern angeht, können
 wir eine alte chinesische sprichwörtliche Redensart heranziehen. Hier
 heißt es folglich: „Wirft ein Metzger sein Schlächtermesser fort, so wird
 er gleich ein Buddha.“ (Chinesisch-Deutsches Lexikon der sprichwörtli-
 chen Redensarten, Beijing 1981, Seite 73) So war man offiziell in China
 der Meinung gewesen, dass der Mensch gewandelt werden könne. Auch
 sah man bei Pu Yi als schwerwiegend vor allem die Fehler in der Epoche
 von „Mandschuguo“ an, als er hier die Monarchie zur Restauration verhalf.
 Bis gar zu seinem Lebensende werden ihn diese Erlebnisse verfolgen. So
 erschien etwa neun Monate vor seinem Tod eine „edle Frau“, die einfach
 behauptete, sie sei von ihm im ehemaligen Palast des Marionettenkaisers
 unterdrückt worden. Es war die Zeit der Kulturrevolution. Jede Aktion sollte
 den Kampf gegen alles Bürgerliche charakterisieren. So wäre es nicht ver-
 wunderlich gewesen, wenn diese Dame von Rotgardisten dazu engagiert
 worden wäre, um Pu Yi zu kränken und zu schikanieren. Denn zu dieser
 Zeit war das Mittel der Denunziation durchaus an der Tagesordnung. Pu
 Yi starb am 19. Oktober 1967 während dieser wohl chaotischen Jahre.
 Früher schrieb der Autor einmal, dass Mao die Kulturrevolution selbst in-
 szenierte. Denn er erhoffte sich dadurch die Rückkehr zur Macht. Doch
 die bösen Geister, die er rief, wurde er nicht mehr los. Diese versuchten
 mehrmals, ihn gewaltsam zu beerben. Sie glaubten, mit ihm ein leichtes
 Spiel zu haben, nur weil er schon ein alter und auch gebrochener Mann
 war. Doch sie hatten die Umstände der Zeit unterschätzt. Sie boten kei-
 nen Raum für die alten Rezepte.
 Nach der Entlassung aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Fushun im
 Dezember 1959 arbeitete Pu Yi im Beijinger Botanischen Garten. Später
 ist er im Büro für Geschichtsforschung im Bereich der Politischen Konsul-
 tativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV) tätig gewesen. Insbe-
 sondere ihm und seinen Angehörigen ist es zu verdanken, dass wir heute
 über die ehemaligen Vorgänge in der Verbotenen Stadt so gut informiert
 sind. Er starb im Alter von 60 Jahren infolge eines Nierenkrebses.

