DER VÖLKERMORD AN DEN ARMENIERN

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

In der letzten Zeit wurde das Thema „Völkermord an den Armeniern“ wieder
aktuell, nachdem der Deutsche Bundestag am 2. Juni 2016 eine Resolution
verabschiedete, die an den Völkermord an den Armeniern auf türkischer Seite
während des I. Weltkrieges erinnern sollte. Diese Resolution belastet derzeit
das deutsch-türkische Verhältnis.

BEITRAG

Zur Zeit des I. Weltkrieges töteten in der Kemach-Schlucht am 10. Juni 1915
türkische Truppen rund 25.000 Armenier. Dieses Massaker ist der vorläufige
Höhepunkt systematischen Völkermordes gegen die armenische Bevölkerung
im Osmanischen Reich. Insgesamt fallen den Morden im Jahre 1915 und 1916
rund 1,5 Millionen Armenier zum Opfer. Heutige Historiker sprechen vom ersten
Völkermord des 20. Jahrhunderts.

Das Ziel des Genozids an den christlichen Armeniern war die Verwirklichung
eines von den herrschenden Jungtürken angestrebten Reichs auf rein islami-
scher Grundlage. Unter dem Vorwand, die Armenier unterstützten den Kriegs-
gegner Russland und bereiteten einen Aufstand vor, beschlossen die Jungtürken
am 27. Mai 1915 die Deportation der armenischen Bevölkerung in die mesopota-
mische Wüste. Zuvor schon waren in Konstantinopel 600 führende armenische
Intellektuelle verhaftet und zum größten Teil ermordet worden. Während der
Deportationen wurden Männer. Frauen und Kinder – sofern sie nicht an den
Seuchen und an völliger Entkräftung starben – verschleppt, verkauft, verge-
waltigt und ermordet.

Die Zahl von 1,5 Millionen Toten bestätigt die heutige türkische Regierung
leider bis heute nicht. Im Gegensatz dazu spricht sie heute von 9.000 bis
10.000 Opfern. Auch dass die Armenier von Türken ermordet wurden, ist
heute streitig. Stattdessen gibt die Regierung räuberischen Banden Schuld
an der Ermordung, die bei einer Umsiedlungsaktion die Armenier angegriffen
und ermordet hätten.

Im kaiserlichen Deutschland blieben diese Vorfälle nicht verborgen. Aus
Rücksicht auf die Türkei als damaligen Bündnispartner Deutschlands ist
dieses Verbrechen unter dem Hintergrund eines höheren Zieles einfach
hingenommen worden. [1]  

In den sowjetischen Quellen werden ebenfalls diese Armenierpogrome
und -massaker einerseits, pharisäische „Fürbitten“ der Diplomaten aller
Länder als Bemäntelung eines neuen Massakers andererseits, in dem
Ergebnis aber ein blutüberströmtes, betrogenes und versklavtes Armenien
angesprochen. Nach der Oktoberrevolution in Russland sah man hier die
Möglichkeit, Armenien an das neue Russland heranzuführen, indem man
Armenien mit Hilfe eines besonderen Dekretes die freie Selbstbestimmung
in Aussicht stellte. Mit Hilfe dieser Maßnahme wollte man den deutschen
und den türkischen Machthabern entgegentreten, die, ihrer imperialistischen
Natur getreu, kein Hehl aus ihrem Wunsch machten, die okkupierten Gebiete
mit Gewalt unter ihrer Herrschaft festzuhalten. [2]    

Eine Parallele gibt es im II. Weltkrieg. Im April 1943 entdeckten Soldaten der
deutschen Wehrmacht im russischen Katyn Massengräber mit mehreren Tau-
send Leichen. Nachforschungen ergaben, dass es sich bei den Toten um die
polnischen Offiziere handelte, die 1939 in sowjetische Kriegsgefangenschaft
gerieten und seither vermisst wurden. Eine internationale Ärztekommission
wurde hinzugezogen und legte 4.443 Leichen frei. Die Obduktionen ergaben,
dass die Männer durch Genickschuss hingerichtet wurden. [3] Aus Rücksicht
auf die Sowjetunion, die sich an der Seite westlicher Alliierter an der Anti-Hit-
ler-Koalition im II. Weltkrieg beteiligte, wurden die Vorfälle totgeschwiegen.
Jahrzehntelang wurde den Hitlerfaschisten die alleinige Schuld am Tod der
polnischen Offiziere gegeben. Erst im Jahre 1990 gestand die Sowjetführung
ihre Schuld an diesem Verbrechen ein. Den Hintergrund für diesen Massen-
mord wird man sehr wahrscheinlich im „Wunder an der Weichsel“ suchen,
als im August 1920 das polnische Heer unter Staatspräsident Pilsudski und
Generalstabschef Rozwadowski die sowjetischen Truppen entscheidend zu-
rückdrängte. Damit war die offizielle Sowjetpolitik gezwungen gewesen, ihre
außenpolitischen Bemühungen in die Länder des Ostens zu verlegen.       

ANMERKUNGEN
[1] Die große Chronik WELTGESCHICHTE, Band 15: Der Erste Welt-
     krieg und seine Folgen (1914-1932), Wissen Media Verlag, Güters-
     loh/München 2008, Seiten 112 + 113.
[2] J. W. Stalin, Werke, Band 4, Dietz Verlag, Berlin-Ost 1951, Seiten
     22 + 23.   
[3] Die große Chronik WELTGESCHICHTE, Band 16: Nationalsozia-
     lismus und Zweiter Weltkrieg (1933-1945), Wissen Media Verlag,
     Gütersloh/München 2008, Seite 312.